Push: Sprung ins Leben

19. April 1943

Am 19. April 1943, mitten im Zweiten Weltkrieg, griffen drei junge belgische Widerstandskämpfer mit einer einzigen Pistole einen Nazi-Zug an, der 1600 Menschen jüdischen Glaubens nach Auschwitz deportierte, wo sie ein sicherer Tod erwartete. Nachdem die Widerstandskämpfer Jean Franklemon, Robert Mastriau und Youra Livchitz den Zug mit einem falschen Notsignal angehalten hatten, öffneten sie die Wagentüren mit Bolzenschneidern und halfen den Menschen, aus dem Zug zu entkommen. Andere nutzten das allgemeine Chaos, um abzuspringen, als der Zug wieder in Bewegung geriet. Dieses historische Ereignis, das als Angriff auf den 20. Konvoi bekannt ist, war die einzige Gelegenheit, bei der jüdische Deportierte in so großem Umfang befreit wurden.

In dieser Nacht konnten 231 Menschen der Deportation entrinnen, viele von ihnen wurden später wieder gefangen genommen. Der jüngste, der entkommen konnte, war Simon Gronowski, ein 11-jähriger jüdischer Junge aus Brüssel, der von seiner Mutter aus dem Zug gestoßen wurde. Sie konnte ihm nicht folgen und wurde bei ihrer Ankunft in Auschwitz vergast. Simon wurde während des restlichen Krieges von mehreren belgischen Familien versteckt.

Simon Gronowski, Enfin libérés (Endlich frei)
Kann das Unverzeihliche verziehen werden? Das Opfer kann Vergebung gewähren, wenn der Schuldige darum bittet und seine Tat aufrichtig bedauert. Wie kann man dem vergeben, der stolz auf sein Verbrechen ist und bereit, es erneut zu vollziehen? Vergebung ohne Reue trägt die Saat des Vergessens. Vergessen ist eine Gefahr für die Menschheit. Selbst mit Reue löscht Vergebung das Verbrechen nicht aus.

Eine humanistische Oper

Als der britische Komponist Howard Moody Simon Gronowski nach der Aufführung seiner Oper Sindbad – A Journey Through Living Flames (Sindbad - Eine Reise durch lebendige Flammen) 2014 in Brüssel traf, war er von dessen Lebensgeschichte so bewegt, dass er beschloss, sie in eine Oper zu verwandeln. Die Idee für Push war geboren. Die Oper geht jedoch über historische Fakten hinaus, und steht mit aktuelleren Erfahrungen von Gefangenschaft und Flucht in Verbindung.

Moody konzipierte das Projekt als Gemeinschaftsoper, die professionelle Musiker*innen und Amateurdarsteller*innen - sowohl Erwachsene als auch Kinder - zu einem einzigartigen Theatererlebnis zusammenbrachte. Seit ihrer Premiere in Bexhill, Großbritannien, wurde die Oper mehrmals aufgeführt, bevor sich der Kreis schloss und 2019 in der belgischen Monnaie gezeigt wurde. Simon Gronowski war bei der Aufführung anwesend.

Der Regisseur Benoît De Leersnyder war sensibel für Gronowskis humanistische Einstellung - den Glauben, dass man die Barbarei von gestern kennen muss, um die heutige Demokratie zu verteidigen - und suchte nach einer Bühnensprache, die die Geschichte erläutert und Parallelen zu heutigen Leiden zieht.

„Während Zahlen die Opfer entmenschlichen“, schreibt De Leersnyder, „wird in unserer Produktion die Geschichte von Simon und Ita [Simons Schwester, die in Auschwitz gestorben ist] vollständig auf Bildschirmen projiziert.“ Dies ist ein Versuch, ihm etwas von seiner Menschlichkeit zurückzugeben und es in jedem Zuhörer nachklingen zu lassen. In den Chorpassagen deuten die Videobilder jedoch auf Parallelen zur aktuellen Weltlage hin. Im Lichte der Shoah finden die heutigen Geflüchteten einen Platz in unserer Aufführung - mit einem Kommentar, einem Zeugnis, einem Vorschlag, einer Warnung… “

Über uns, hier und heute

Emilie Lauwers, die das Bühnenbild und die Kostüme für Push entwarf, überlegt, wie sie sich diese Erfahrung vorstellte, bei der man stehen muss, anstatt bequem in einem Samtsessel sitzend zuzusehen. Die Szenografie, die Platzierung des Publikums und des Orchesters sind die Frucht ihrer Reflexion:

„Wenn das Publikum mit einem vollen Lastenaufzug in den Saal kommt und sich auf der Bühne befindet‟, erklärt Lauwers, „blockiert das auf einem Podium stehende Orchester den Ausgang. Noch bevor jeder sicher seinen Platz als Zuschauer einnehmen kann, beginnt die Oper. Die erste Szene heißt Verhaftung. Von den Tribünen aus beobachten Wachen die Zuschauer*innen. Die Chorsänger*innen haben bereits ihren Platz im Publikum eingenommen - alle werden verhaftet. Bei Push geht es nicht um die anderen in einem Krieg vor langer Zeit, sondern um uns im hier und heute.“