Opera Zuid

La Voix humaine & L’Heure espagnole

Poulenc & Ravel
Diese Vorstellung ist nicht mehr als Video auf unserer Plattform verfügbar. Sie können aber weiterhin das zusätzliche Material der Produktion nutzen.

Eine Frau ruft ihren Ex-Geliebten an, weil sie nicht von ihm loslassen kann. Sie schmeichelt, verzweifelt und erpresst in der Hoffnung, dass er nicht auflegt. / Die Frau des Uhrmachers nutzt die Abwesenheit ihres Mannes, um ihre Liebhaber zu empfangen.

In der Doppelvorstellung der Opera Zuid mit französischen Meisterwerken des 20. Jahrhunderts dreht sich alles um die Protagonistinnen und ihre Gefühlswelt. Die jeweils weniger als eine Stunde dauernden Einakter La Voix humaine (Francis Poulenc) und L'Heure espagnole (Maurice Ravel) präsentieren sich als zwei Seiten derselben Medaille, die durch die gleiche Sehnsucht nach Verbundenheit mit einem anderen Menschen zusammengeführt werden.

Besetzung

Elle
Talar Dekrmanjian
Torquemada
Gilles Ragon
Concepción
Romie Estèves
Ramiro
Michael Wilmering
Don Iñigo Gomez
Alexandre Diakoff
Gonzalve
Peter Gijsbertsen
...
Musik
Poulenc & Ravel
Dirigent
Karel Deseure
Inszenierung
Béatrice Lachaussée
Bühne
Amber Vandenhoeck
Licht
Glen D'haenens
Kostüme
Jorine van Beek
Director Assistant
Lauriane Tissot
Conductor Assistant (intern)
Bas van Yperen
...

Video

Ausschnitt

Adieu, cellule, adieu, donjon !

Als Torquemada, der alte Uhrmacher, seine Werkstatt verlässt, um nach der Stadtuhr zu sehen, wird seine junge Frau Concepción von drei verschiedenen Männern besucht, die ihr den Hof machen. In einem (komischen) Versuch, sich gegenseitig aus dem Weg zu gehen, verstecken sich zwei dieser Männer, Don Inigo Gomez und Gonzalve, in einer Reihe von großen Uhren. Als Gonzalve beschließt, seine Uhr zu verlassen, beginnt er kühn die Abschiedsarie „Adieu, cellule, adieu, donjon“ zu singen, nur um zu entdecken, dass Torquemada direkt vor der Tür steht...

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Hinter den Kulissen

Einführung zu L'Heure espagnole & La Voix humaine

Hinter den Kulissen von Opera Zuid reflektieren die Regisseurin Béatrice Lachaussée und der Dirigent Karel Deseure über die gemeinsame Suche nach Konnektion der Protagonistinnen der Einakter La Voix humaine (Francis Poulenc) und L'Heure espagnole (Maurice Ravel).

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Handlung

La Voix humaine

Elle (sie) ist allein in ihrer Wohnung und wartet auf einen Anruf ihres Ex-Lovers. Die beiden haben erst vor kurzem ihre Beziehung beendet. Es kommt zu mehreren vergeblichen Anrufen, doch schließlich ruft der Ex-Liebhaber durch. Elle erzählt ihm die Ereignisse des vergangenen Abends und Tages, aber sie verschweigt deutlich die emotionale Wahrheit, sie täuscht eine ruhige und gefasste Fassade vor, als sie ihn fragt, ob er seine Sachen abholen möchte - sie sprechen über ihr vergangenes Glück und ihre Akzeptanz seiner anderen Beziehungen.

Ihr Gespräch ist gespickt mit Unterbrechungen und unterbrochenen Verbindungen. Sie versucht herauszufinden, wo er sich aufhält, aber als sie bei ihm zu Hause anruft, stellt sie fest, dass er nicht da ist. Das bestätigt ihren Verdacht, dass er mit seiner anderen Geliebten zusammen ist.

Als er wieder anruft und sie erreicht, tut sie weiter so, als ginge es ihr gut, bis sie Verzweiflung überkommt und sie gesteht, dass sie in der Nacht zuvor einen Selbstmordversuch unternommen hat, der nur von ihrem Arzt gerettet wurde.

Der Rest des Anrufs verläuft mit Unterbrechungen, und Stück für Stück wächst ihre Erkenntnis, dass ihr Geliebter sich entfernt und sie mit ihrem emotionalen Schmerz zurückgelassen hat. Ihre Angst und Resignation wächst, bis sie sich mit einer letzten Geste verabschiedet und ein letztes Mal ihre Liebe zu ihm ausspricht und bittet, die Verbindung schnell zu beenden.

L'Heure espagnole

Der Uhrmacher Torquemada arbeitet gerade in seinem Laden, als Ramiro vorbeikommt, um seine Uhr reparieren zu lassen, um seine Pflichten bei der städtischen Post erfüllen zu können. Da es Donnerstag ist, der Tag, an dem Torquemada die Uhren der Stadt kontrolliert, muss Ramiro warten, bis er zurückkommt. Ramiro weiß nicht, dass Torquemadas Frau, Concepción, während der Abwesenheit ihres Mannes immer ihre Geliebten empfängt. In einem Versuch, Ramiro loszuwerden, bittet sie ihn, eine Standuhr in ihr Schlafzimmer zu bringen.

Ihr erster Liebhaber, der Dichter und Student Gonzalve, trifft ein, und zu Concepcións Leidwesen findet er Inspiration in der Poesie, nicht in der Liebe. Als Ramiro aus dem Schlafzimmer zurückkehrt, schickt sie ihn wieder nach oben, mit der Ausrede, die falsche Uhr gewählt zu haben, und versteckt Gonzalve in einer zweiten Uhr. Ramiro willigt ein, ihren Geliebten ungesehen die Treppe hinaufzutragen. Don Iñigo, der Bankier, der zweite Verehrer von Concepción, erscheint und versteckt sich ebenfalls in der Uhr. Als Ramiro zurückkehrt, bittet ihn Concepción, die Uhr mit Gonzalve nach oben zu tragen und begleitet ihn.

Ramiro kehrt zurück und ist völlig ratlos, wie er sich das Verhalten der Frauen erklären soll. Während Concepción mit den Verabredungen mit ihren beiden Liebhabern jongliert, erfindet sie Ausflüchte und Vorwände, um Ramiros Kraft auszunutzen, und er wiederum kommt ihr entgegen, indem er ihre versteckten Liebhaber auf und ab trägt. Concepción ist zunehmend beeindruckt von der Leichtigkeit, mit der Ramiro die schweren Uhren nach oben trägt.

Torquemada kehrt von seinen städtischen Pflichten zurück. Er entdeckt Gonzalve und Don Iñigo in ihren jeweiligen Uhren und fragt erstaunt, was sie machen. Sie behaupten, die Uhren zu inspizieren, und um ihr Gesicht zu wahren, kaufen sie jeweils eine Uhr. Concepción steht nun ohne Uhr da, und beschließt stattdessen, auf Ramiro zu warten, der die Post bringt. Zum Schluss singen alle die Moral von der Geschicht: Es gibt immer eine Chance für die Liebe, besonders wenn es einen Ramiro gibt.

Einblicke

„Wir drehen durch, wenn die Verbindung unterbrochen wird‟

Regisseurin Béatrice Lachaussée und Dirigent Karel Deseure über die Frage, wie wir ticken, das Gespräch mit der Leere am Telefon und tyrannische Technik.

Um was für Stücke handelt es sich bei den Einaktern La Voix humaine und L'Heure espagnole? Und was haben sie miteinander zu tun?

Béatrice Lachaussée: Es gibt eine starke Ähnlichkeit, auch wenn sie so unterschiedlich erscheinen. Zentral für beide ist die starke Sehnsucht nach etwas, das als Mangel erlebt wird. Das scheint das Schicksal eines jeden zu sein. Wir sind immer auf der Suche nach etwas, das wir nicht haben. In La Voix humaine ist es das letzte Telefongespräch der Frau mit ihrem Liebespartner, der sich gerade von ihr getrennt hat. Die Figuren sind gezwungen, nach Wegen zu suchen, mit diesem Verlust zu leben.

In L'Heure espagnole sucht eine Frau nach einem Ausgleich für den Verlust ihres Ehelebens. Dabei geht es nicht unbedingt um eine unglückliche Ehe und auch nicht in erster Linie um außereheliche Affären. Für mich geht es darum, wieder ins Leben zurückkehren zu können. Es ist mehr wie eine Identitätskrise. Die Frau, Concepción, ist auf der Suche danach, wer sie ist und was sie wirklich will. All diese Männer um sie herum stehen für bestimmte Eigenschaften. Am Ende entscheidet sie sich tatsächlich für die einfachste. Es ist eine spielerische und komische Oper, aber es gibt tiefere Schichten, die darunter verborgen sind.

Karel Deseure: Das sehe ich auch so. L'Heure espagnole ist auch eine humoristische Abwechslung nach La Voix humaine. Aber Ravels Musik hat immer auch eine dunkle Seite. Die Charaktere von L'Heure espagnole sind Archetypen und es ist keineswegs nur eine Opera buffa, wie Ravel sie selbst nannte. Die Stücke gleichen sich aus und beeinflussen sich gegenseitig.

BL: Wir folgen dem Weg der Frau in La Voix humaine zu der Frau in L'Heure espagnole, zu einer unabhängigeren und freieren Person.

Ravel ist als Schweizer Uhrmacher bekannt. In L'Heure espagnole gibt es unzählige Uhren und Mechanismen. Sind die Figuren nicht auch eine Art Uhr, die tickt, wie es die Natur vorschreibt? In La Voix humaine ist es das Telefon. Wir leben heute in einer technischen Social-Media-Welt. Wie sehen wir das auf der Bühne?

KD: Es ist ein Dilemma geworden, mit der Technologie der sozialen Medien zu leben. Durch den häufigen Einsatz von Algorithmen stellt sich die Frage, ob wir noch aus freiem Willen handeln oder manipuliert werden. Der Computer denkt für uns. Und in La Voix humaine führt die Technologie, das Telefon, deutlich weg von der Menschlichkeit.

BL: Als Poulenc La Voix humaine schrieb, gab es noch Telefonzentralen, in denen man von weiblichen Angestellten manuell an die gewünschte Nummer durchgestellt werden musste. Ich fand es wichtig, das in unsere Zeit zu übersetzen und mit unserer eigenen Besessenheit mit dem Mobiltelefon zu verbinden. Wir drehen völlig durch, wenn die Verbindung unterbrochen wird. Das Mobiltelefon ist wie eine Verlängerung des Körpers, fast buchstäblich ein Teil der Hand.

Die Uhren in L'Heure espagnole repräsentieren natürlich auch einen Teil unseres inneren Selbst. Wir können an die biologische Uhr einer Frau denken, aber auch an die eher psychologische: Wie 'ticken' wir eigentlich...? Wir alle haben unsere Vergangenheit. Das Stück ist auch sehr lustig, wie die Schwungräder, in die Charlie Chaplin in Modern Times geriet.

KD: Genau! Der Text von La Voix humaine, geschrieben von Jean Cocteau, ist fast hundert Jahre alt und doch ist er in keinster Weise gealtert. Auch was die Liebe angeht, haben wir uns nicht so sehr verändert.

Viele Beziehungen wurden per WhatsApp beendet...

BL: Am Telefon sprechen wir mit einer unsichtbaren Person. In La Voix humaine hat man oft den Eindruck, dass die Frau mit einem Spiegel spricht, eigentlich ins Leere. Die Technik kann tyrannisch sein. Man muss immer erreichbar sein. Dadurch, dass man immer mit der Außenwelt in Kontakt sein muss, verliert man die Verbindung zu sich selbst. Die Frau hat alles für ihre Liebe gegeben und sie hat viel geopfert. Wenn am Ende des Stückes die Verbindung zum letzten Mal unterbrochen wird, stirbt die Beziehung. Oft endet das Stück mit einem Selbstmord und es ist wahr, dass ein Teil von ihr gestorben ist und vielleicht will sie auch sterben. Aber sie begeht keinen Selbstmord. Etwas muss sterben, um Platz für etwas anderes zu schaffen.

KD: Sie sagt auch: „Wir brauchten uns nur anzuschauen und wir haben uns verstanden.” Und dann diese Einsamkeit der isolierten Telefonleitung. Das ist so grausam: Sie hat Kontakt, doch echter menschlicher Kontakt ist außerhalb ihrer Reichweite.