Im Gespräch - Jonathan Cohen und Annilese Miskimmon sprechen mit Henrietta Bredin über Semele
Dirigenten und Regisseure neigen dazu im Leben viel unterwegs zu sein, wodurch es manchmal schwierig ist mit ihnen ein Interview zu vereinbaren. In diesem Falle befand sich der Dirigent, Jonathan Cohen, zwischen seinen Auftritten mit seinem Ensemble Arcangelo für kurze Zeit in London. Die Regisseurin, Annilese Miskimmon, war auf dem Weg Kopenhagen zu verlassen, um ihrer neuen Arbeit als Leitung der Norwegian Opera in Oslo nachzugehen. Mit der Hilfe von Skype und einem Zimmer in der Royal Academy of Music in London, war es uns möglich ein Gespräch zu dritt zu führen, das schnell zu einer Diskussion über die Griechische Mythologie wurde. Uns wurde klar, dass der Mythos von Semele dem Publikum nicht mehr geläufig war, wie Hendels Uraufführung im Jahre 1744.
Es sei wahr, sagte Miskimmon, dass die Menschen die Geschichte sehr gut kennen und begeistert sind, das Stück erneut ins Leben zu rufen. Es handelt von dem Zusammenspiel zwischen den Göttern und Menschen. „Diese faszinierende Überschneidung der Natur des Gottes und der eines Menschen auf die Bühne zu bringen, stellt eine Herausforderung dar. Ich mag es, dass wir auf einer Bühne spielen, auf der wir nicht viele Möglichkeiten der Bühnentechnik haben und wir so andere Wege finden müssen, um die gute alte Theatermagie auf die Bühne zu bringen. Semele ist eine Sterbliche mit Aspekten auf das Göttliche. Die Götter können umherwandern und machen was sie wollen. Sie können ihr wahres Ich zeigen und gelegentlich so töricht und verletzbar wie ein Mensch sein. Händel hat das Talent eine musikalische Sprache zu erstellen, die all diese Dinge ausdrückt. Das macht den feinen Unterschied aus,” so Miskimmon.
„Ich denke Händel versteht, dass die Götter eine Metapher darstellen”, sagt Cohen. „Sie sind das, was wir nicht verstehen. Somnus, der Gott des Schlafes, gibt Händel die fantastische Möglichkeit in seinen kreativen Vorstellungen zu schwelgen. Und den Fagotten gibt er diese wundervolle, lethargische, träumerische Musik. Obwohl das Publikum die Geschichte von Semele kennt, waren sie perplex von diesem Stück. Als es geschrieben wurde, führte Händel seine Oratorien während der Fastenzeit in London. Es war nicht auf Anhieb berühmt, da die meisten Menschen sich nicht sicher waren, was es war. War es eine Oper? War es ein Oratorium?”, fragte sich Cohen.
„Nicht viele Opern haben zehn Choreinlagen wie diese. Das Publikum erwartete wahrscheinlich eine religiöse Situation, doch was sie bekamen war eine säkulare Thematik der Mythologie mit eingeworfenen verschleierten, moralischen Urteilen, obwohl Händel die Charaktere in ein urteilloses Bild setzt. Er ist sehr mitfühlend und zeigt Semele als naiv und nicht als intriganter, böser Mensch.”
Auch wenn er keinen Zugang zur Bühnentechnik oder Spezialeffekten hatte, verwandelte er seine Vorstellungen in musikalische Bilder. ‚Es ist sehr idyllisch,” sagt Cohen. „Wenn Jupiter sein glorreiches Lied „Where e’er you walk” um Semele zu Verführen singt, zeigt er keine herausragenden Tricks auf der Bühne. Er erstellt Bilder einer perfekten Umgebung ihrer Liebe, mit Blumen und Bächen und dem Gefühl einer Brise Wind, die durch die Bäume weht.”
„Und das Pavillon Theater in Wormsley ist umgeben von solch einer idyllischen Landschaft. Bevor die Lichter ausgehen, kann man tatsächlich auf beiden Seiten hinter der Bühne diese Art von englischer, idyllischer Aussicht genießen: Ein flüchtiger Blick ins Gras, in die Blumen und Äste. Doch bestimmte Elemente des Christentums sind in seiner Strenge und Gewissheit freudlos. Ich denke, der Grund, warum die griechischen Mythen eine solche Inspiration sind, besteht darin, dass eine Lebenskraft durch sie hindurchgeht, die einfacher als kreative Inspiration genutzt werden kann, ganz egal ob Sie ein Maler, ein Schriftsteller oder ein Komponist sind. Keiner der Charaktere in Semele, ob Mensch oder Gott, wird als Klischee oder Stereotyp dargestellt. Händel ist sowohl psychologisch als auch musikalisch erfinderisch.”
„Es gibt keine einfache oder einseitige Ansicht eines großartigen Kunstwerks”, sagt Cohen. „In Le nozze di Figaro fühlt man sich in die Rolle der Barbarina versetzt und man merkt, dass der kostbarste Moment der ganzen Oper eine kurze Szene des jungen Mädchens ist, die sich sorgt eine Nadel zu finden, die natürlich so viel mehr darstellt als allein das. In Monteverdis Ritorno d'Ulisse beschreibt der Selbstmord eines Vielfraßes den wichtigsten Moment. Die guten Komponisten versetzen sich in die Rolle aller – sie bestätigen die Menschheit.”