Die Zauberflöte als politisches Instrument

Die Zauberflöte wird oft als ein Märchen über das Finden des eigenen Weges inmitten der gegensätzlichen Kräfte von Gut und Böse dargestellt. Mozarts letzte Oper erzählt von den Irrungen und Wirrungen zweier gegensätzlicher und doch komplementärer Paare - Tamino und Pamina und Papageno und Papagena -, die auf der Suche nach Liebe die Finsternis durchqueren, um Licht und Glück zu erreichen. Begleitet werden sie dabei von ihren Zauberinstrumenten, die sie vor allerlei Gefahren beschützen.

Seit der Uraufführung von Die Zauberflöte am 30. September 1791, nur zwei Monate vor dem frühen Tod des Komponisten, hat die Oper nicht aufgehört, ihr Publikum zu faszinieren und zu betören. In der Tat kann jeder und jede Generation das Werk anders interpretieren, ohne den Anspruch erheben zu können, seine letzte Wahrheit darzustellen. 

Eine magische Farce

Viele Aufführungen inszenieren die Zauberflöte als uriges Volksmärchen in der Tradition des Genres der Wiener Kasperl- und Zauberoper, in der Fabelwesen neben realen Personen auftreten und gute und böse Mächte um ihren Einfluss auf die Protagonisten wetteifern, bis schließlich die Liebe alles besiegt.

Hier findet das Fabelwesen seine Verkörperung in Papageno, der selbst mehr Vogel als Vogelfänger ist. Als Possenreißer, der gleichermaßen tollpatschig und verschlagen ist, erfreut er das Publikum mit seinen unprätentiösen volkstümlichen Arien und sorgt für einen Großteil der herzerwärmenden Komik der Oper.

Der Widerstreit zwischen Licht und Dunkelheit

Während sie anfangs als magische Farce erscheint, verwandelt sich Die Zauberflöte im Laufe der Handlung zusehends in die Darstellung freimaurerischer Ideale, indem sie die Dualität von Aufklärung und Obskurantismus thematisiert und Elemente des wahren Heldentums hervorhebt.

Die jungen Liebenden Tamino und Pamina sind inmitten ihrer Prüfungen gefangen zwischen den Kräften des Weiblichen und des Männlichen. Die weibliche Kraft, die der Königin der Nacht, repräsentiert den Mond, die Dunkelheit, die Negativität, die Irrationalität und das Chaos, während ihr Gegenstück, der männliche Sarastro, für die Sonne, das Licht, die Positivität, die Rationalität und die Ordnung steht.

Sowohl Mozart als auch sein Librettist Emanuel Schikaneder waren Freimaurer, Mitglieder eines nur widerwillig tolerierten brüderlichen Ordens, der Selbsterhöhung und Philosophie durch die Teilnahme an einer Reihe von Zeremonien vermittelte. Diese Zeremonien spiegeln sich in den Prüfungen des Schweigens, des Wassers und des Feuers in der Oper wider.

Das Publikum zu Mozarts Zeiten verstand die politische Tragweite der "Zauberflöte" sehr gut. Des Opers Stellungnahme gegen das Feudalwesen und die Kirche musste auf der Bühne getarnt und in harmloses Geschehen umgewandelt werden. Auch die Merkmale der derben Wiener Komödie wie Papagenos Sprüche und die Verwandlung einer alten in eine junge Frau können in diesem Licht gelesen werden.

Um zu erschaffen, muss man zuerst zerstören: Graham Vicks Il flauto magico

Vor diesem Hintergrund betrachtet, kehrt Graham Vicks radikal moderne und unverhohlen politische Inszenierung, die im Sommer 2018 das Opernfestival von Macerata eröffnete, der Aufführungstradition nicht ganz den Rücken. Seine Zauberflöte leugnet nicht ihre populären Wurzeln im Varieté-Theater. Das verdeutlicht schon der Auftritt des Papageno als Brathähnchen-Lieferant. Die vor witzigen Einfällen strotzende Inszenierung ist schelmisch und macht Spaß zuzusehen.

- Graham Vick
Mozarts letzte Oper wurde als populäre und komische Aufführung konzipiert. Deshalb wollte ich, dass diese Aufführung mit der Stadt verbunden ist, und ich wollte sie auf Italienisch machen.

Aber Graham Vick wäre nicht Graham Vick, wenn er sich nicht mit den großen politischen Dilemmas unserer Zeit auseinandersetzen würde. Seine eigenwillige Behandlung nimmt sich des Dreiklangs von Politik, Wirtschaft und Religion an - auf der Bühne stellvertretend dargestellt durch Modelle der Europäischen Zentralbank, des Apple-Hauptquartiers und des Petersdoms. Er rekrutierte hundert Einheimische und Migrant*innen als Statist*innen, um die Demonstrant*innen zu spielen.

Sein Bestreben, eine maßgefertigte Produktion zu schaffen, die ihr spezifisches Publikum anspricht, zeigt sich in seiner kühnen Entscheidung, das Libretto in ein direktes und umgangssprachliches Italienisch, wie es heute gesprochen wird, neu zu übersetzen. Vick scheute es eine weitere Zauberflöte mit und für Leute zu schaffen, die nicht verstehen, was gesungen wird.

Wie schon Mozart selbst, der das traditionelle Italienisch seiner Opern gegen ein deutschsprachiges Singspiel (ein Musikdrama mit gesprochenen Dialogen) eintauschte, schreckt Vick nicht vor Innovationen zurück. „Diese Version geht von einer ganz natürlichen Annahme aus“, erklärt er, „dass man, um zu erschaffen, zuerst zerstören muss. Denken Sie an die Kernspaltung, an den Urknall. In diesem Gegensatz, in diesem Dualismus, liegt der Dreh- und Angelpunkt und der Sinn des Lebens.“