National Theatre Prague
National Theatre Prague

Nationale Opera

Nicholas Payne, Direktor von Opera Europa, setzt sich mit der Rolle der Oper in der Herausbildung von nationalen Identitäten auseinander.

Die Oper steht heutzutage auf der globalen Bühne für das Internationale. Die universelle Sprache der Musik garantiert, dass die Oper über Landesgrenzen hinaus auch jene erreicht, die den Text nicht verstehen.

Das war nicht immer so. Die aufkommenden Nationalbewegungen im 19. Jahrhundert spiegelten sich auch in länderspezifischen Nationalstilen. Komponisten beschäftigen sich mit patriotischen Sujets. Das Errichten von staatlichen Opernhäusern markierte das kommende Zeitalter des aufblühenden Landes.

Frankreich war das erste Land, das die Staatsmacht auch am Glanz seiner Oper maß, als Ludwig XIV 1668 die Académie Royale de musique – später die Pariser Oper – einweihte. Garniers herrlicher Theaterbau trägt heute diese Inschaft an seiner Fassade. Die anderen Opern-Supermächte Deutschland und Italien waren keinesfalls national geeint und wurden es auch erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Zuge der Bewegung, die durch Europa ging.

OperaVisions Programm im Europäischen Jahr des Kulturerbes stellt einige besondere Beispiele aus Ländern in den Vordergrund, deren Tradition außerhalb ihrer Landesgrenzen weniger bekannt sind als die der Supermächte.

Die ungarische Staatsoper wies mit Ferenc Erkels Bánk ban den Weg, gefolgt von Bedřich Smetanas Libuše am Prager Nationaltheater. Die Staatsoper Kroatien in Zagreb zeigte ferner Jakov Gotovacs komische Oper Ero the Joker, bevor die Staatsoper Brünn mit Leoš Janáčeks Schlauen Füchslein das Ruder für die Tschechen übernahm. 2019 schließlich wird die Staatsoper Polen Jan Paderewskis Manru präsentieren.

Jede dieser Opern ist mit ansteckend fröhlicher Musik gespickt, wovon jede die Seele ihrers eigenen Heimatlandes trifft. Das garantiert ihnen einen besonderen Plate im Herzen ihrer Landesgenossen und eröffnet uns gleichzeitig ein Panorama an Entdeckungsmöglichkeiten.

Inschrift am Proszenium Royal Danish Theatre
Ei blot til lyst
Nicht nur zum Vergnügen

Die Geschichte dieser Opern ist mit Traditionsbildung und Bauwerken, die zu der Nation gehören, verknüpft. Diese Theater wurden als Ort der Zugehörigkeit für heimische Ensembles und Handwerker gebaut, ihr Zweck war auch, nationale Komponisten und Autoren zu fördern. In vielen Fällen waren sie Teil des Aufbegehrens gegen die Herrschaft Österreich-Ungarns und damit Ausdruck von Widerstand und Freiheit.

Zwei der schönsten Mottos über Opernhaus-Proszenien finden sich am Königlichen Theater Dänemarks und am Prager Nationaltheater. In Kopenhagen steht: ‘Ei blot til lyst’ was soviel bedeutet wie ‘Nicht nur zum Vergnügen’, was die Macht des Staates widerspiegelt, genauso unterrichten und erziehen zu können wie zu unterhalten. In Prag steht ‘Národ Sobĕ’, das bedeutet: ‘Selbst ist die Nation’.

Prags erstes Nationaltheater brannte im Jahr seiner Eröffnung 1881 vollständig nieder. Es wurde sofort beschlossen, es wieder aufzubauen und Beiträge dazu öffentlich zu sammeln, weswegen das Gefühl eines tschechischen Volkstheaters auch heute noch spürbar ist. Smetana war eine zentrale Figur in der Nationalbewegung.

Seine Oper Libuše eröffnete das neue Theater und ist eine stolze Parade der tschechischen Geschichte, seiner inneren Spaltungen und äußeren Bedrohungen sichtlich bewusst, mit dem von der Titelrolle prophezeiten Ausgang eines unabhänigen Nationalstaats.

Der Komponist vermischt das politische Geschehen von öffentlichem Interesse mit der persönlichen Geschichte über Krasava, die zwischen Liebe und Eifersucht und zwei streitenden Brüdern hin- und hergerissen ist. Der ‚Held‘ Přemysl gibt sein geliebtes Landleben auf, um die politische Führung zu übernehmen und den Konflikt zu lösen. Sein sinnträchtiger Abschied vom Bauernleben ist höchst berührend, weil er das beschreibt, was viele Tschechen für ihre ländlichen Gegenden empfinden.

Inschrift am Proszenium National Theatre Prague
Národ Sobĕ
Selbst ist die Nation

Přemysl ist eine grundfriedliche Figur, während, der Charakter Bánk ban im Herzen ein Krieger ist, bereit, seine Liebe für seine politischen Überzeugungen aufzugeben. Die Ungarn gründeten ihr Staatstheater 1838 – vor den Tschechen –, wobei ihr Kampf für eine unabhängige Identität vergleichbare Rückschläge in der Mitte des 19. Jahrhunderts verbuchte, besonders während der Revolutionen 1848-49. Erkel mutet wie ein weniger raffinierter Vorgänger Smetanas an, seine erste erfolgreiche Oper, Hunyadi László, feierte schon 1844 Premiere. Im darauffolgenden Jahr komponierte er ein ein Stück, das die ungarischen Nationalhymne werden sollte, Himnusz.

Obwohl Bánk ban auf einem bekannten ungarischen Drama fußt und kurz nach den Revolutionen 1848 und 1849 entworfen wurde, als das Stück verboten war, wurde die Oper über ein Jahrzehnt später entworfen und 1861 uraufgeführt. Heute erscheint die Handlung grotesk, aber mit einer überzeugenden Aufführung ist es schwierig, den brenneden Emotionen und der musikalischen Spannung zu widerstehen.

Wenn Sie Budapest oder Prag besuchen, lohnt es sich, nach Erkel in dem nach ihm benannten Theater zu schauen, oder nach Smetana in dem Theater, das er einweihte, um eine authentische Begegnung mit den jeweiligen Nationen zu erleben. Unterdessen können Sie ihre besonderen nationalen Werke auf OperaVision genießen.

Dass Kroatien längere Zeit als seine nördlichen Nachbarn unter dem österreichischen Joch blieb, wird auch daran deutlich, dass sein hübsches 1895 in Zagreb eröffnetes Opernhaus von den zwei allgegenwärtigen Wiener Architekten Fellner und Helmer, die über 200 Gebäude quer durch das Imperium gebaut hatten, entworfen wurde. Die starke nationale Identität, die nach dem Zusammenbrechen des Imperiums nach dem ersten Weltkrieg 1914 – 1918 entstand, brachte einen nationalen Musikstil mit sich, der am Werk von Gotovac am besten zum Vorschein kommt, und dessen populärste Oper die Komödie Ero the Joker ist. Die Mischung aus Spätromantik mit volkstümlichen Einsprengseln brachte die Oper auf über 80 Bühnen außerhalb Kroatiens, unter anderem zum Internationalen Festival Edinburgh in den späten 1950er Jahren.

Das erste nationale Operngebäude Polens wurde 1833 in Warschau eröffnet, deutlich früher als Prag, Budapest oder Zagreb, allerdings wurde es 1939 zerbombt. Das heutige Grand Theatre mit seiner bemerkenswert großen Bühne und Auditorium ist von 1965. Seine derzeitige Geschäftsleitung legt besonderen Wert auf polnisches Opernkulturerbe, in den vergangenen Jahren wurden Schätze wie Wladyslaw Żeleńskis Goplana von 1896 und Jan Stefanis Die Krakowiter und die Bergbewohner von 1794 gehoben.

Die letzte Entdeckung der Staatsoper Polen ist die Oper Manru von Ignacy Jan Paderewski, Komponist, Pianist und Diplomat, die 1901 uraufgeführt wurde. Im darauffolgenden Jahr erreichte sie die Metropolitan Opera in New York, die einzige polnische Oper, die dort je aufgeführt wurde. Marek Weiss, erfahrener polnischer Regisseur, inszeniert diese eindringliche Liebesgeschichte gegen eine gespaltene Klassengesellschaft in einer Neuproduktion, die am 18. Januar 2019 auf OperaVision zu erleben sein wird.

Nationalismus ist auch im 21. Jahrhundert eine starke Kraft. In seiner positiven Form ist er erstrebenswert, so wie auch im Manifest für Kreation der Oper Covent Garden nach dem Zweiten Weltkrieg festgehalten wurde: Eine Nationaloper „ist ein besonderer Anreiz für Künstler und Komponisten, da sie ihnen die Möglichkeit bietet, Erfahrungen mit dem Aufführen und Schreiben von Opern in einer Dimension zu sammeln, die der entspricht, die in Kontinentaleuropa schon lange Gang und Gäbe ist“.