Die Dämonen in uns
Carl Maria von Webers Euryanthe gilt als musikalisch außergewöhnlich, das Libretto von Helmina von Chézy aber wird eher kritisch gesehen, wenn nicht gar als misslungen betrachtet. Was fasziniert den Regisseur Christof Loy an diesem Schlüsselwerk der Romantik?
Es dauerte lange, bis ich das Werk wirklich für mich entdeckt, es komplett akzeptiert und schätzen gelernt habe. Daraus ist aber inzwischen eine große Begeisterung geworden. Eine der Schlüsselszenen war dabei der Beginn des dritten Aktes mit den Hauptfiguren Euryanthe und Adolar, weil gerade dort Webers musikalische Sprache so eigensinnig und ungewöhnlich erscheint. Es zeugt von großem Mut, lange in einer düsteren Atmosphäre zu verbleiben, die nur ganz selten aufgebrochen wird. Hier war für mich ganz deutlich zu spüren, wie wichtig Weber diese beiden Figuren waren. Von hier ausgehend hat sich das Stück für mich quasi erschlossen, und ich begann, ein Interesse an den vorhergehenden Situationen zu entwickeln. Ich wollte diese Figuren erforschen und habe begriffen, was Weber erzählen wollte. Und darüber hat sich mir dann nicht nur die Geschichte, sondern auch die Sprache erschlossen.
Sind Text und Musik für dich eine Einheit?
Ich denke, die Sprache ist an sich nicht merkwürdig. Helmina von Chézy hat eine Sprache für dieses Sujet erfunden. Das ist nichts anderes als das, was Wagner gemacht hat, der ja für seine Welten ebenfalls eine eigene Sprache entwickelt hat. Der Text des Tristan ist ja auch nicht sofort zugänglich und unmittelbar zu verstehen. Diesen Text muss man sich erst einmal erarbeiten. In der Vorbereitung zu Euryanthe habe ich mich daran erinnert, wie ich mir diese Wagneroper erst entschlüsseln musste. Zwar hat Weber an einigen Stellen mit dem Libretto gehadert, aber seine Einwände betrafen eher die Dramaturgie, niemals die sprachliche Qualität.
Der Text war durchaus eine Inspiration für ihn. Letztlich kann man beides auch gar nicht voneinander trennen. Wenn der Text nichts getaugt hätte, hätte er diese Musik gar nicht dazu erfinden können. Und dass ein solcher Weg von einer Textvorlage zur vollendeten Oper steinig ist, ist nichts Ungewöhnliches. Man denke an Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal, die durchaus auch miteinander gekämpft haben, und manchmal sind ganze Akte wieder im Papierkorb gelandet.
Das Stück hatte durchaus vorausweisende Wirkung, gerade wenn man an Richard Wagner denkt. Da hört man immer wieder Gestaltungsweisen, wie sie musikalisch später nicht erst bei Tristan, sondern auch bei Der fliegende Holländer oder Lohengrin entwickelt werden sollten.
Das ist zwar richtig, aber man wird dem Stück nicht gerecht, wenn man ihm nur in einem musikhistorischen Zusammenhang eine Schlüsselfunktion zukommen lassen will. Eine Wertschätzung muss doch möglich sein, ohne auf das vorauszublicken, was dann noch kommt. Hier ist die Rezeptionsgeschichte durchaus interessant. Es hat zahlreiche Bearbeitungen der Euryanthe gegeben, bei denen versucht wurde, die Sprache zu verändern, und fast eine andere Geschichte erzählt und die Reihenfolge der musikalischen Nummern umgestellt wurde. Wir haben uns aber entschlossen, die Originalfassung nur mit ein paar kleinen, unwesentlichen Strichen zu spielen. In den Proben hat sich bereits deutlich gezeigt, dass man den Text und was darin verhandelt wird, gar nicht mehr in Frage stellt, wenn sich die Sänger völlig mit den Situationen und somit auch mit ihrem Text identifizieren.
Die Produktion richtet sich sehr stark auf die Befindlichkeiten der vier Hauptfiguren. Warum die Konzentration auf die kammerspielartigen Konstellationen?
Mich interessiert diese Form und auch die ästhetische Konzentration, weil man dabei die verschiedenen Ebenen, die das Stück offenbart, viel besser erzählen kann, ganz ähnlich wie es auch bei den unterschiedlichen Schichten der Musik funktioniert, wenn man sie analysiert. Wenn man eine „große heroisch-romantische Oper“ inszenieren würde, wie der Untertitel in der Partitur lautet, also tableauhaft zu Werk ginge, würden diese Nuancen verloren gehen. Weber hat, denke ich, den Auftrag für eine solche Oper angenommen, weil er sich bewusst war, wieviel er über diese Menschen mit dem Orchester erzählen konnte. Dabei kam ihm der Wunsch nach einer durchkomponierten Oper sehr entgegen. Und insofern ist die Konzeption eines Kammerspiels im Sinne von messerscharfer Analyse vom Komponisten selbst angelegt.
Das vollständige Interview von Klaus Bertisch wurde im Naxos-DVD-Booklet veröffentlicht.