Opera for beginners
Opera for beginners

Die Oper für Anfänger

Das Saallicht erlischt, das Publikum verstummt. Warum klatschen alle? Eine schwarz gekleidete Figur betritt den Graben vor der Bühne und verbeugt sich energisch vor dem Publikum. Es ist die Dirigentin, die das Startzeichen gibt: Sie hebt den Taktstock – und die ersten Töne der Oper erklingen. Nicht schlecht, und wann wird gesungen? Nach einigen Minuten hebt sich der Vorhang, der bis eben noch geschlossen war, und gibt den Blick auf ein opulentes Bühnenbild frei. Jemand beginnt zu singen, aber ich verstehe kein Wort. Kann man hier nicht irgendwo noch die Untertitel einstellen …?

Sie haben von der Mailänder Scala oder der Met in New York gehört? Sie kennen die tragischen Geschichten von Carmen, Tosca, Tristan und Isolde? Vielleicht haben Sie über die halsbrecherische stimmliche Akrobatik der Königin der Nacht aus Mozarts „Zauberflöte“ gestaunt? Oder geht Ihnen dieses eine Lied aus der Pizzawerbung nicht mehr aus dem Kopf, wie war das doch gleich, „la donna è mobile“? Aber Sie waren noch nie in einem Opernhaus – und nun sind Sie hier, auf einer Website über die Oper. Wo fangen wir an?

Mit Musik vertontes Drama

Viele Menschen verbinden mit dem Wort Oper pompöse Kostüme, laute Stimmen, mitreißende Musik und große Gefühle – aber auch lange Abende, merkwürdige Traditionen und abgehobene Diven. Seit Jahrhunderten spielt die Oper, die sich von Europa in alle Welt ausgebreitet hat, als eine lebendige Form des Musiktheaters eine wichtige Rolle. Dabei ist sie genauso vielschichtig wie bildende Kunst, Popmusik und Film und entwickelt sich ständig weiter. Längst findet Oper nicht mehr nur in Opernhäusern statt, sondern auch unter freiem Himmel, als interaktive Opern zum Mitmachen oder digital.

Als Oper versteht man grundsätzlich ein musikalisches Werk, das auf einen bestimmten Text, das sogenannte Libretto, komponiert wurde. Wie in einem klassischen Schauspiel ein Text gesprochen vorgetragen wird, wird der Text in einer Oper gesungen. Der Komponist oder die Komponistin geben wortwörtlich den Ton an: Ihre Musik ist die Interpretation des Librettos und dient als hauptsächliche Grundlage für die Umsetzung der Oper auf der Bühne, die Inszenierung. Auch wenn das Libretto manchmal ein eigenständiges Kunstwerk ist, werden die Komponist:innen meist als Schöpfer:innen der Oper genannt. Was ist Ihnen geläufiger: „La bohème von Illica und Giacosa“ (die Librettisten) oder „Puccinis La bohème“ (der Komponist)? Über das Libretto, die Musik, den Gesang und die Inszenierung können Sie hier mehr erfahren.

Dann gibt es die Orte, in denen solche Werke aufgeführt werden: Opernhäuser, Festivalbühnen oder Studios, die ganz speziell für die Aufführung von Opern konzipiert wurden. Manchmal erklingen Opern aber auch in neuen, ungewöhnlichen Räumen wie einer Eisenbahnhalle oder einem Flugzeughangar. Die Infrastrukturen, die für eine erfolgreiche Opernproduktion notwendig sind, bilden einen ganz eigenen Kosmos mit einer Vielzahl von einzigartigen Berufsgruppen und Tätigkeiten.

Maria Callas, griechische Sopranistin
Eine Oper beginnt lange bevor der Vorhang aufgeht und endet lange nachdem er sich wieder schließt. Sie beginnt in meiner Vorstellung, sie wird zu meinem Leben und sie bleibt ein Teil meines Lebens, lange nachdem ich das Opernhaus verlassen habe.

1. Eine Oper kommt auf den Spielplan


Lange bevor sich der Vorhang für das Publikum öffnet, entscheidet das Leitungsteam eines Opernhauses oder einer Opernkompanie – in der Regel Intendanz, künstlerische und musikalische Leitung sowie Dramaturgie – darüber, welche Oper überhaupt aufgeführt werden soll. Dabei können ganz unterschiedliche Fragen eine Rolle spielen:

       • Sind die Themen in dieser Oper für unser Publikum interessant?
       • Haben wir genug Platz für alle Orchestermusiker:innen?
       • Ist die Oper auch für Kinder geeignet?
       • Wie viele Beteiligte werden auf der Bühne sein, brauchen wir einen Extrachor?
       • Wurde das Stück hier schon einmal aufgeführt?
       • Gibt es eine Übersetzung, wenn wir die Oper in einer anderen Sprache aufführen wollen?


2. Konzeption und Inszenierung


Mit der Entscheidung darüber, was gespielt werden soll, kommt die Frage: Wer sorgt für die Inszenierung, also die praktische Umsetzung einer Idee auf die Bühne? Das kreative Team, das dafür verantwortlich zeichnet, besteht meist aus folgenden Positionen:

       • Die Regie setzt konzeptionelle Schwerpunkte einer Inszenierung: Soll die Oper als tragische Liebes- oder Rachegeschichte verstanden werden? Spielt sie im Italien des 17. Jahrhunderts oder im heutigen New York? Welche zeitgenössischen Themen und Diskussionen können herausgearbeitet werden? In den Proben zeigen die Regisseur:innen allen auf der Bühne Beteiligten, was sie tun sollen, damit die Inszenierungsidee klar wird.
       • Die musikalische Leitung interpretiert die Partitur einer Oper, entscheidet aber nicht nur, wie schnell die Musik gespielt werden soll und wann es Pausen gibt, sondern gestaltet die Musik auch gemeinsam mit den Sänger:innen. Bei den Aufführungen gibt der oder die Dirigent:in für alle Ausführenden im wahrsten Sinne des Wortes live den Takt an.
       • Bühnen- und Kostümbildner:innen entwerfen die Welten, in denen die Geschichten erzählt werden. Die können opulent, mit historischen Anlehnungen, schlicht oder minimalistisch sein – ganz im Sinne der Wirkung, die die Inszenierung am Ende haben soll. Sie liefern eine Vorlage, die von den Mitarbeiter:innen der Werkstätten und Schneidereien umsetzt wird.
       • Eine vielfältige Rolle fällt der Dramaturgie zu. Dramaturg:innen kennen die Oper und ihre historische Einordnung sehr gut, stehen der Regie beratend zur Seite, verfassen das Programmheft, stellen die Oper verschiedenen Zuschauergruppen vor, entwerfen Sonderveranstaltungen rund um eine Produktion und vieles mehr.

Die Menschen, die auf der Bühne agieren, sind das Ensemble. Manche Opernhäuser haben festangestellte Sänger:innen und einen Chor; andere Häuser und besonders Festivals, die z.B. nur im Sommer stattfinden, casten immer wieder ein neues Ensemble. Manchmal werden auch Tänzerinnen, Schauspieler und Statistinnen engagiert.

Daneben gibt es eine Vielzahl an Fachleuten, die in eine Opernproduktion involviert sein können: Choreografinnen zeigen dem Ensemble in einer Ballszene die richtigen Schritte. Für Schwerkämpfe auf der Bühne werden spezielle Fecht- oder Kampfchoreografen konsultiert. Bei Opern in fremden Sprachen helfen Sprachcoaches bei der richtigen Aussprache. Für intime körperliche Szenen kann es in einigen Produktionen auch Intimitätskoordinatorinnen geben.

Die Proben gehen über mehrere Wochen und finden meist auf einer separaten Probebühne statt, noch ohne Originalkostüme oder -bühnenbilder. Erst in den letzten Tagen vor der Premiere geht es …


3. Auf die Bühne!


Hier geschieht der „Theaterzauber“ – viele Menschen aus unterschiedlichsten Abteilungen sorgen dafür, dass das Publikum bei der Opernpremiere eine echte Show geboten bekommt: Beleuchter tauchen die Bühne in das richtige Licht; Technikerinnen hinter der Bühne bedienen Hebel und Seilzüge und sorgen für schnelle Wechsel des Bühnenbilds (vielleicht gibt es eine Nebelmaschine oder Blitz- und Donner-Effekte für nächtliche Szenen?); Ton- und Videotechniker kreieren Spezialeffekte, Videoprojektionen oder Geräusche (vielleicht soll im Hintergrund ein Radio spielen?); Inspizientinnen überwachen den technischen Ablauf am Tag der Vorstellung und geben von einem Pult neben der Bühne aus über Funk Zeichen für Auftritte, Licht- und Bühnenbildwechsel und vieles mehr.

Aber das ist längst noch nicht alles! Ganze Abteilungen planen Spielzeiten, kümmern sich rund um das Jahr um Aufführungsrechte, erstellen Künstlerverträge, beantragen Förderungen, designen die Plakate, die Sie überall um den Aufführungsort herum sehen. Am Tag der Vorstellung garantieren Ticketverkäuferinnen und Platzeinweiser, dass das Publikum mühelos aus der alltäglichen Realität in die magische Welt der Oper eintauchen kann. Und natürlich werden die schönsten aller Opern hier auf OperaVision als Livestream gezeigt oder sind als Abruf verfügbar, wann immer Sie Lust auf Oper haben!

 

Hannes Föst für OperaVision, Dezember 2024