Elektra
Die Königin Klytämnestra ermordet den König Agamemnon. Ihre Tochter Elektra wartet nun auf den Tag, an dem der Tod ihres Vaters gerächt wird. Der Rachefeldzug muss gemäß dem Fluch vollzogen werden, aber ist Elektra zu der unwiderruflichen Tat fähig?
Im Grand Théâtre de Genève wird das Getriebe der Rache von dem Theatermaschinisten Ulrich Rasche in Bewegung gesetzt, der die Figuren von Elektra in einer spektakulären Bühnenkonstruktion gefangen hält: einem fast zwölf Tonnen schweren Stahlturm, der sich ständig dreht. Im Graben meistern der musikalische Leiter Jonathan Nott und sein Orchestre de la Suisse Romande die musikalischen Herausforderungen, die Strauss' Partitur im Verlauf dieser einaktigen Oper stellt, auf ideale Weise. Das dramatische Frauendreieck wird von Ingela Brimberg in der Titelrolle, Sara Jakubiak als Chrysothemis und Tanja Ariane Baumgartner als Klytämnestra getragen.
Besetzung
Electra | Ingela Brimberg |
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Clytemnestra | Tanja Ariane Baumgartner |
Chrysothemis | Sara Jakubiak |
Aegisthus | Michael Laurenz |
Orest | Károly Szemerédy |
Orest's tutor | Michael Mofidian |
The confidante | Elise Bédènes |
The trainbearer | Mayako Ito |
A young servant | Julien Henric |
An old servant | Dimitri Tikhonov |
An overseer | Marion Ammann |
Five maids | Marta Fontanals-Simmons, Ahlima Mhamdi, Céline Kot, Iulia Elena Surdu, Gwendoline Blondeel |
Chor | Grand Théâtre de Genève Chorus |
Orchester | Orchestre de la Suisse Romande |
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Musik | Richard Strauss |
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Text | Hugo von Hofmannsthal |
Musikalische Leitung | Jonathan Nott |
Inszenierung | Ulrich Rasche |
Bühne | Ulrich Rasche |
Licht | Michael Bauer |
Kostüme | Sara Schwartz, Romy Springsguth |
Chorleitung | Alan Woodbridge |
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Video
Handlung
Mykene, im Innenhof des Palastes. Hier, im Badehaus, wurde König Agamemnon nach seiner Rückkehr aus Troja von seiner Frau (Klytämnestra) und deren Liebhaber (Ägisth) getötet. Seitdem werden seine Töchter Elektra und Chrysothemis als Gefangene gehalten. Ihr Bruder Orest ist auf der Flucht. Es herrscht Ungewissheit und Panik. Wie jeden Tag vollzieht Elektra ihr Ritual - sie erinnert sich an ihren toten Vater. Blutrache ist ihr Ziel. Chrysothemis berichtet ihrer Schwester vor einer schrecklichen Nachricht: Man will Elektra in den Turm sperren, um sie für immer zum Schweigen zu bringen. Elektra weist Chrysothemis an, die Tat zu vollziehen: Sie sollen ihre Mutter und ihren Geliebten mit der Axt töten, die ihrem Vater den Kopf abgeschlagen hat. Chrysothemis ist nicht auf Rache aus, sie will nur ein normales Leben, Kinder gebären und eine Familie haben. Elektras Verachtung beendet ihren Austausch und schickt sie fort.
In der königlichen Residenz kommt es zu Unruhen. Die Königin wird von Albträumen geplagt. Sie bittet ihre kluge Tochter Elektra um Hilfe. Es kommt zu einer schmerzhaften Konfrontation zwischen Mutter und Tochter. Klytämnestra sucht nach einem Mittel, um ihre nächtlichen Leiden zu lindern. Elektra antwortet ihr: Ein angemessenes Blutopfer, das von einem Mann mit einer Axt durchgeführt wird, könnte sie von ihren Albträumen befreien. Sie quält ihre Mutter mit Todesdrohungen und stellt ihr die Rückkehr Orests in Aussicht. Die Mutter zieht sich hilflos zurück.
Es kommt die Nachricht, dass Orest von seinen Pferden zu Tode verletzt wurde. Die Mutter jubelt, Elektra will es nicht glauben, Chrysothemis bricht vor Verzweiflung zusammen. Elektra will nun selbst Rache nehmen. Sie holt die versteckte Axt hervor. Plötzlich steht ein seltsamer Mann vor ihr der behauptet, ein Gefährte ihres toten Bruders zu sein. Zunächst erkennen sich der Bruder und die Schwester nicht. Doch über den Schrecken über Elektras Zustand gibt sich Orest zu erkennen. Schmerz und Entzücken brechen ihre Dämme, als sich die Geschwister wiedersehen. Sie einigen sich auf das, was geschehen soll: Orest soll das Opfer vollziehen und auf die Hilfe der Götter vertrauen. Orest betritt in Begleitung seines Hauslehrers den Palast und tötet seine Mutter.
Der ganze Hof ist in Aufruhr. Ägisth kehrt zurück; mit falscher Höflichkeit begleitet ihn Elektra in den Palast, wo auch er von Orest getötet wird. Chrysothemis ruft Elektra für die Feierlichkeiten zurück in den Palast. Elektra wird über sich selbst und ihre Taten erhaben. Mit wilder Stimme ruft sie zum Tanz auf, und wie eine Mänade tanzt sie ihre Freude bis zum Tod.
Einblicke
Ein Gespräch zwischen Regisseur Ulrich Rasche und Dramaturg Stephan Müller
Stephan Müller : Als Bühnenbildner haben Sie den Ruf, kolossale Maschinenräume zu bauen, in denen Sie die Schauspieler:innen tanzen lassen. Dazu verwenden Sie riesige Drehscheiben, Hebebühnen oder Laufbänder, auf denen die Schauspieler:innen (manchmal auch angeseilt) im Takt laufen und skandieren. Wie kommt dies bei Elektra zum Tragen?
Ulrich Rasche : Wie bei unseren Arbeiten im Sprechtheater werden sich die Sänger:innen auch in dieser lyrischen Inszenierung während der gesamten Aufführung auf zwei rotierenden Scheiben bewegen. Die Verbindung von Sprache, Bewegung, Raum und Licht ist ein zentraler Punkt der Arbeit. Im Sprechtheater leiten wir die Bewegung der Schritte aus dem rhythmischen Muster des Textes und der damit verbundenen Bedeutung ab. In der Oper hilft uns die Musik, die Dynamik der Bewegungen zu definieren. Strauss selbst hat sich intensiv mit Hofmannsthals Sprache auseinandergesetzt und sie in eine Musik umgesetzt, die ihr so genau wie möglich folgt. Es ist erstaunlich, wie genau er sich von der Syntax der Sätze und ihrer mündliche Melodie inspirieren lässt.
Stephan Müller : Das Bühnenbild von Elektra stammt aus München. Der Raum wird durch eine Umlaufbahn ergänzt, die um die zentrale Scheibe herumführt. Welche Überlegungen haben Sie zu dieser Raumerweiterung motiviert?
Ulrich Rasche : Wie in München steht auch in Genf ein Turm in der Mitte der Bühne. Diese mit Lochblech verkleidete Stahlkonstruktion ist je nach Lichteinfall mehr oder weniger transparent. Der Turm bildet den realen Raum, in dem die drei Protagonistinnen der Oper in einem endlosen Kreislauf gefangen zu sein scheinen. Das Publikum entdeckt ständig rotierende Scheiben, auf denen sich die Figuren im Kreis drehen. Durch ein sehr genaues mechanisches System von Drehungen, Verschiebungen und Anhebungen der Bühnenelemente entsteht eine Vielzahl von Orten und Situationen, in denen Elektra, Chrysothemis und Klytämnestra ihre Konflikte austragen. Auch wenn es scheint, dass jede Figur durch spezifische Konfigurationen der Bühnenelemente eine mächtigere Position gegenüber der anderen einnehmen kann, sind alle Figuren in den Mechanismus der Maschine verstrickt: Niemand wird dem Fluch des Hauses, dem Kreislauf von Mord und Rache, entkommen. Die zweite Scheibe, die für Genf gebaut wurde, bezeichnet vor allem den Ort der Mägde und Knechte. Diese Vertikalisierung verdeutlicht die Hierarchien und Abhängigkeiten innerhalb des Systems.
Stephan Müller : Das Frauenbild vor etwa hundert Jahren war ein anderes als das unserer Zeit. Heutige Interpreten sehen in der Elektra von Strauss/Hofmannsthal den Ausdruck einer versteckten Frauenverachtung. Man erkennt in ihr patriarchalische Züge, eine Abwertung des Weiblichen. In einer radikalen Interpretation würde Elektra regelrecht durch die Musik zu Tode gebracht und dem Publikum als weibliches Opfer dargeboten. Ich interpretiere den Entwurf von Strauss/Hofmannsthal im Sinne einer tiefen Komplizenschaft mit Elektra. Daraus ergibt sich logischerweise die Identifikation des Publikums mit der Titelfigur.
Ulrich Rasche : Der Blick auf die Figuren in Elektra kann ein emphatischer oder ein erhebender Blick sein. Im ersten Fall fühlen wir uns in die Figuren ein. Wir leiden in gewisser Weise an ihrem Leid. Im zweiten Fall ergötzen oder erfreuen wir uns sogar am Leid der Frauen, die ihrem Schicksal ausgesetzt sind. Jeder Blick ist in jeder Epoche von ideologischen Mustern und vorgefassten Urteilen geprägt, auch, wenn ich damit nicht sagen will, dass Hofmannsthal oder Strauss sich einer frauenfeindlichen Neigung hingegeben hätten.
Stephan Müller : In Elektra kommt es darüber hinaus zu einem Zusammenbruch der politischen Ordnung. Nach der Ermordung von König Agamemnon beginnnt Mykene zu zerfallen. Es gibt keine Thronfolge und keine Kontinuität der monarchischen Macht. Die Orestie von Aischylos setzt die Erzählung von Elektra insofern fort, als schließlich eine neue politische Ordnung entsteht: die Demokratie.
Ulrich Rasche : In der Orestie führen die anhaltenden Krisen der politischen Ordnung zu einer endgültigen Veränderung. Das zweiköpfige System mit Göttern und einer Oberschicht, die alles entscheidet, löst sich auf und wird durch die sogenannte Regierung des Volkes ersetzt. Grundlegend für die Demokratie ist die allgemeine Beteiligung an der Frage, welche Gesellschaftsordnung die richtige ist. Es ist mir wichtig, dass bei der Betrachtung unserer Elektra eine Kritik der politischen Verhältnisse vorstellbar ist, eine Kritik der Herrschaftsform, die die Menschen zerstört. Es geht heute darum, die „Erfindung der Demokratie“ zu bewahren - gegen alle Anfechtungen von Rechtspopulisten, Verschwörungstheoretikern und anderen extremen ideologischen Positionen.