The Shell Trial
De Nationale Opera & Ballet

The Shell Trial

Ellen Reid
Verfügbar in
Streamed am Streamed bis Aufnahme vom
Gesungen auf
Englisch
Untertitel auf
Niederländisch
Englisch

Am 4. April 2018 verkündete die Umweltgruppe Milieudefensie (ein Teil von Friends of the Earth International) ihre Absicht, Shell vor Gericht zu ziehen, um das Unternehmen aufzufordern, seine Geschäftstätigkeiten mit dem Klima-Abkommen in Einklang zu bringen. Tausende niederländische Bürger:innen und eine Gruppe von gemeinnützige Vereinen schlossen sich als Mitklagende dem Verfahren gegen Shell an. Der Sieg der Bevölkerung war einmalig: Das Gericht entschied, dass Shell seine CO2-Emissionen bis 2030 um 45% gegenüber dem Stand von 2019 reduzieren soll. Nur wenige Unternehmen auf der Welt haben mehr Kohlendioxid ausgestoßen als Shell – aber wird das das Unternehmen davon abhalten, gegen diese bahnbrechende Entscheidung Berufung einzulegen?

Dies ist der Hintergrund von The Shell Trial, einer neuen Oper der Niederländischen Nationaloper, die auf dem 2020 uraufgeführten Schauspiel De zaak Shell von Rebekka de Wit und Anoek Nuyens basiert, das auf der niederländischen wie internationalen Bühnen Aufsehen erregte. Die Oper rückt eine Bandbreite von Stimmen und Perspektiven in der Klimakrise in den Fokus und zeigt die Komplexität des Falles. Die Grenzen zwischen Schuldigen und unschuldigen Opfern, zwischen Gut und Böse und zwischen individueller und kollektiver Verantwortung verschwimmen, während immer mehr Standpunkte zum Ausdruck gebracht werden. Die mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnete amerikanische Komponistin Ellen Reid, 2024 als Artist in Residence am Royal Concertgebouw, schrieb die Musik zum Libretto von Roxie Perkins. The Shell Trial wurde koproduziert, entwickelt und inszeniert von Gable Roelofsen und Romy Roelofsen von Het Geluid Maastricht. Die Oper ist eine kollektive Produktion – ein Ansatz, mit dem Manoj Kamps (Musikalische Leitung und Mitgestaltung) bereits in Faust [Arbeitstitel] viel Erfolg hatte. Auch hält die Niederländische Nationaloper, was sie verspricht: Die Produktion wurde so nachhaltig wie möglich gestaltet.

BESETZUNG

Die Regierung
Claire Barnett-Jones
Der Konsument
Anthony León
Das Gesetz / Die Künstlerin
Lauren Michelle
Der CEO
Audun Iversen
Ein:e Aktivist:in
Ella Taylor
Der Klimaflüchtling
Carla Nahadi Babelegoto
Ein:e Historiker:in
Jasmin White
Der Wettermoderator
Erik Slik
Die Grundschullehrerin
Nikki Treurniet
Der Pilot
Alexander de Jong
Der Arbeiter für fossile Brennstoffe
Allen Michael Jones
Der Landwirt
Yannis François
Die Ältesten
Nita Liem
Ingrid Coleridge
Claudia Tjon Soei Len
Twie Tjoa
Francisca Tan
Raymonde Roebana
Beppy Milder
Patrick Altenberg
William Mettendaf
Linda Grootfaam
Anna Azijnman
Anneroos Burger
Orchester
Akademiker und Mitglieder des Royal Concertgebouw Orchestra
Kinderchor
The Shell Trial project chorus
Watermusic Kinderkoor
Noord-Hollands selectiekoor
B! Music school en Leerorkest Zuidoost
...
Musik
Ellen Reid
Text
Roxie Perkins
Musikalische Leitung und Co-Kreation
Manoj Kamps
Regie, Konzept und Co-Adaptation
Gable Roelofsen
Romy Roelofsen
Bühne
Davy van Gerven
Kostüme
Greta Goiris
Flora Kruppa
Licht
Jean Kalman
Video
Wies Hermans
Choreografie
Winston Ricardo Arnon
Bewegungsregie „Die Ältesten“
Nita Liem
Dramaturgie
Willem Bruls
Saar Vandenberghe
Jasmijn van Wijnen
Videoregie
Maurice Angenois
Musikaufnahme
Lilita Dunska
Tonaufnahme und Mischung
Paul Lardenoije
Ko- und Kreative Produktion
Het Geluid Maastricht
...

Video

Hinter den Kulissen

Eine Einführung in The Shell Trial

Der musikalische Leiter und Mitschöpfer Manoj Kamps stellt die neue Oper der Dutch National Opera vor, die nach dem Stück De zaak Shell adaptiert wurde.

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HANDLUNG

In einem Prolog führt die Künstlerin das Publikum in den aktuellen Rechtsstreit gegen Shell ein. Sie lädt das Publikum ein, diesen Abend als eine Probe für die Zukunft zu betrachten, in der alle selbst prüfen können, wer für die Lösung der Klimakrise verantwortlich ist.

I

In einem metaphorischen Gerichtssaal erwägen Figuren, die das Gesetz, den CEO von Shell und die Regierung repräsentieren, die möglichen Folgen des Shell-Prozesses. Dabei versuchen sie, die Schuld an der globalen Erwärmung von sich zu weisen.

II

Anschließend begeben wir uns in die harte Realität und treffen auf Figuren mit weniger struktureller Macht, die ihre Verantwortung angesichts des Klimawandels hinterfragen. Zu diesen Figuren gehören der Verbraucher, ein:e Aktivist:in, der Arbeiter für fossile Brennstoffe, der Pilot, ein:e Historiker:in, der Klimaflüchtling, der Wettermoderator, die Grundschullehrerin und der Landwirt.

Die Atmosphäre wird immer düsterer, je mehr diese Figuren mit Klimaangst und Schuldgefühlen darüber kämpfen, wie sehr ihr Lebensunterhalt mit der Ölindustrie verflochten ist. Während jede Figur mit Gefühlen von Hilflosigkeit und Wut kämpft, wird klar, dass niemand vor den ökologischen, politischen und persönlichen Folgen des Shell-Prozesses gefeit ist.

Frustriert über die Untätigkeit schließen sich die Menschen zusammen, um sich der Untätigkeit des Gesetzes, des CEO und der Regierung zu widersetzen. Doch sie werden übertönt und die Welt scheint zum Status quo zurückzukehren. Fast …

III

Die Künstlerin tritt aus ihrer bisherigen Rolle heraus und trauert um all jene, die verloren gegangen sind. Sie öffnet eine Tür zur Vergangenheit.

Wir durchqueren Raum und Zeit, während Kinder aus der Vergangenheit auftauchen. Ihre Stimmen erschaffen eine unheimliche, weite Landschaft, die Shells Umweltvergehen beleuchten und den niederländischen Kolonialismus, der den Reichtum des Unternehmens erst ermöglichte.

Kinder aus der Vergangenheit und der Zukunft konfrontieren das Publikum und fordern es auf, jetzt zu handeln – solange es noch möglich ist.

EINBLICKE

Eine Anhäufung von Perspektiven


Manche Themen sind so groß, so existenziell, unergründlich und überwältigend, dass man sofort weiß: die verdienen es, in einer Oper behandelt zu werden. Wenn es bereits ein großartiges Theaterstück gibt, auf dem man aufbauen kann, stellt sich die Frage: Was verliert man und, vor allem, was gewinnt man, wenn man es in eine Oper verwandelt?

Wie das ursprüngliche Stück De zaak Shell (Der Fall Shell) ist unsere Oper eine Anhäufung von Perspektiven in der Gesellschaft, die zusammen ein System bilden. Wir haben jedoch die Anzahl der Stimmen erweitert: So haben wir auch die Vergangenheit zu Wort kommen lassen und die Geschichte zu einer globalen Angelegenheit gemacht. Welche großen Kräfte sind im Spiel und wie wirken sie zusammen? Oper ist traditionell ein wirksames Medium, um über Macht zu reflektieren – auch weil sie sowohl in der elitären als auch in der populären Kultur verankert ist. Auch biete sie einen Raum für Kontemplation, eine Tradition, die sich bis zur Kirchenmusik und zum Oratorium zurückverfolgen lässt. Darüber hinaus ist die Oper ein ideales Medium für die Darstellung großer archetypischer Kräfte. Die Autorinnen des Originalstücks haben uns klar umrissene moderne Archetypen gegeben, die über Individuen mit eingeschränkter Psychologie hinausgehen.

Die Frage nach der Verantwortung für die Klimakrise wird oft in Form von karikierten Gegensätzen dargestellt, aber die Welt ist viel komplexer als das. In dieser Oper wollen wir über festgefahrene Positionen hinausgehen und anerkennen, dass wir ein gemeinsames Problem haben. In der Inszenierung präsentieren wir die Stimmen und Strukturen, die zusammen das System bilden. Auch das Orchester ist eine Art Körper, der eigene Aussagen auf der Bühne macht. Diese Inszenierung steht in einer Tradition des europäischen, Brecht-Theaters ohne vierte Wand und erinnert gleichzeitig auf eine Oratorienaufführung oder einen Gottesdienst.

Kolonialismus – Kapitalismus – Klimakrise


Ellen Reids Musik ist dank einer eklektischen Klangpalette im zeitgenössischen Stil sowohl zugänglich als auch verwirrend. Im selben Zuge, wie sich verschiedene Perspektiven ansammeln, wird die musikalische Sprache immer rauer und moderner – auf eine Art und Weise, die der Verwirrung, Entfremdung und Abstumpfung gerecht wird, die dieses Thema bei den Menschen hervorrufen kann. Wir werden daran erinnert, dass die Katastrophen, die dem globalen Norden drohen, im globalen Süden bereits stattfinden. Das Libretto scheut sich nicht, eine Verbindung zwischen Kolonialismus, weißer Vorherrschaft und Kapitalismus herzustellen, die auch heute noch Folgen hat und die Ursache für Kriege, Völkermord, Ausbeutung und andere Verbrechen ist, die im Namen der westlichen Welt begangen werden. „Du wirst dich so sicher fühlen, als ob unsere Länder nicht durch dieselben Meere verbunden wären“, singt der Klimaflüchtling. „Und wenn deine Heimat von der Erde verschlungen wird, wirst du sagen, das ist nicht fair.“

Wir sehen einen großen symbolischen Wert in der Tatsache, dass diese Oper im kulturellen Zentrum der Niederlande uraufgeführt wird: in einem Gebäude, das auch die Stadtverwaltung von Amsterdam beherbergt, einer Stadt, die untrennbar mit Kapitalismus und Ausbeutung verbunden ist. „Wie viele der Elfenbeintürme, die ich jeden Tag betrete, wurden mit Steinen von fernen Küsten gebaut, wo ich hätte aufwachsen können“, seufzt ein:e Historiker:in.

Ein generationenübergreifender Dialog


Während die Oper als eine der teuersten Kunstformen eine lange und oft zweifelhafte Geschichte der Förderung, des Mäzenatentums und der Verbindung mit dem Adel und der Elite hat, beobachten wir jetzt in verschiedenen Opernhäusern auf der ganzen Welt einen neuen Trend, dass ein neues Publikum die großen Geschichten unserer Zeit in Opern umgesetzt sehen möchte. Bei dieser Oper haben wir uns ausdrücklich für einen generationenübergreifenden kreativen Prozess entschieden – im Team, in der Besetzung, im Orchester und in der fördernden Organisation. Wir freuen uns auch, dass wir Darstellende mit Erfahrungen außerhalb der klassischen Musik gewinnen konnten, die uns einen neuen Blickwinkel ermöglichen. Jede Perspektive in unserer Inszenierung wird durch den Körper und/oder die Stimme der Darstellenden repräsentiert, wobei ihre Menschlichkeit in all ihrer Kraft und Zerbrechlichkeit jederzeit im Mittelpunkt steht.

Eine Kultur des „Wir“


Bei dieser Produktion haben wir uns auf verschiedene Beratung gestützt, unter anderem durch den Psychiater Glenn Helberg. Helberg hält Vorträge, in denen er zwischen der materiell orientierten und der nicht-materiell orientierten Kultur unterscheidet, dem Unterschied zwischen einer „Ich“-Kultur und einer „Wir“-Kultur. Die „Ich“-Kultur ist auf den individuellen Gewinn, den Erwerb von materiellen Gegenständen und Reichtum ausgerichtet. Die „Wir“-Kultur dagegen blickt weiter: Was ist nachhaltig und akzeptabel für die Gemeinschaft? Sie konzentriert sich auf die Verbindung untereinander und mit den natürlichen Ressourcen. Es geht um Werte, die sich nicht so leicht quantifizieren oder in konkrete Begriffe fassen lassen. Viele Kulturen und Völker werden in der kapitalistischen, westlichen Weltanschauung, gemessen an konservativen Vorstellungen von Zivilisation und Aufklärung, als „primitiv“ bezeichnet. In dieser Dichotomie werden gerade jene Kulturen als unzivilisiert, rückständig und primitiv angesehen, die nicht auf finanziellen Gewinn auf Kosten anderer Menschen oder Ressourcen ausgerichtet sind.

Unsere Recherchen für diese Oper und unsere Erfahrungen bei der Arbeit daran haben uns nur noch deutlicher gemacht, wie sehr der Kapitalismus eine treibende Kraft in der vorherrschenden Denkweise ist, die die Zerstörung des Klimas ermöglicht. Im Wesentlichen bedeutet Kapitalismus, dass alle Aspekte unserer Welt auf Faktoren reduziert werden, die zur Erzielung von Profit genutzt werden können. Kapitalismus objektiviert alles: Pflanzen, Tiere, Land, Wasser, Sonnenlicht, sogar andere Menschen. Dieses ausbeuterische Verhältnis zu den Menschen, dem Planeten und der Natur schadet dem Planeten und letztlich auch uns. Während in der „Ich“-Kultur die eigenen Interessen im Vordergrund stehen, schadet diese Haltung ironischerweise auf lange Sicht sogar genau diesen Interessen. In der „Wir“-Kultur geht es nicht um eine ausbeuterische, rein auf individuelle Leistungen und Profit ausgerichtete Weltsicht, sondern um die Ökologie der Gemeinschaft, die das Verhältnis der Gemeinschaft zum Planeten beeinflusst.

Die sich wandelnden Zeiten und die Krisen, mit denen wir konfrontiert sind, erfordern einen gemeinsamen Ansatz, bei dem die Gemeinschaft ein Sicherheitsnetz bietet, mit einer kollektiven Lösung für individuelle Probleme. „Die Langsamkeit auszukosten“, wie die Regierung singt, ist keine realistische Option. Die Klimakrise ist kein Business wie jedes andere. Was die Menschheit nicht mehr im Überfluss hat, ist Zeit.

Auszüge aus einem Text von Manoj Kamps, Romy Roelofsen und Gable Roelofsen