Die neue Oper von Péter Eötvös führt uns in die karge, graue Welt einer unbekannten und doch vertrauten Kleinstadt und enthüllt die tragikomische Welt des Protagonisten, des Zeitungszustellers János Valuska. Ganz in der Tradition des Shakespeare'schen Narren ist Valuska anders als die Stadtbewohner. Er ist ein argloser Mensch, der sich für die Astronomie und die Stellung des Menschen im Universum begeistert. Die Ankunft eines Zirkus in der Stadt - mit dem größten präparierten Wal der Welt als Hauptattraktion - hat explosive Folgen.
Die Uraufführung von Valuska am 2. Dezember 2023 ist ein bedeutendes Ereignis für die Ungarische Staatsoper und darüber hinaus für alle, die sich für die Oper von heute interessieren. Péter Eötvös, der international gefeierte Komponist, der im Januar 2024 seinen 80. Geburtstag feiert, wurde 2018 von der Ungarischen Staatsoper mit der Komposition dieser seiner 13. Oper beauftragt. Grundlage ist der 1989 erschienene Roman Die Melancholie des Widerstands von László Krasznahorkai, der 2015 mit dem International Man Booker Prize ausgezeichnet wurde. “Valuska, ein junger Mann mit einem reinen Herzen, wird im Schatten eines ausgestopften Wals zum Opfer einer manipulativen Gesellschaft”, sagt Péter Eötvös. Er hat den Roman in eine Aufführung verwandelt, die mehrere Genres der Oper und des Theaters mit der Groteske verbindet. Es ist eine kahle, graue Welt, aber eine mit viel Humor, in der das Surreale schmerzhaft glaubhaft wird.
BESETZUNG
János Valuska | Zsolt Haja |
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Hagelmayer / Narrator | Tünde Szalontay |
Frau Pflaum | Adrienn Miksch |
Tünde | Tünde Szabóki |
Eine Bäuerin | Mária Farkasréti |
Professor | András Hábetler |
Mann im grobmaschigen Mantel / Oberoffizier | Krisztián Cser |
Regisseur:in | István Horváth |
Der Adjutant des Fürsten | Balázs Papp univ. stud. |
Nadabán | Lőrinc Kósa |
Mádai | András Kiss |
Volent | János Szerekován |
Fahrkartenkontrolleur | Zoltán Bátki Fazekas |
Ein Offizier | Attila Erdős |
Männer | Benjámin Beeri Ninh Duc Hoang Long Gergely Halász univ.stud. Bence Pataki Gergely Ujvári Botond Pál Donát Varga |
Orchester | Hungarian State Opera Orchestra |
Chor | Chor der Hungarian State Opera |
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Musik | Péter Eötvös |
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Text | Kinga Keszthelyi Mari Mezei |
Musikalische Leitung | Kálmán Szennai |
Regie | Bence Varga |
Bühne | Botond Devich |
Kostüme | Kató Huszár |
Licht | Sándor Baumgartner |
Künstlerische Assistent.innen | Sylvie Gábor Andrea Valkai |
Musikalische Assistent.innen | Pálma Hidegkuti Jean Klára Bálint Zsoldos |
Assistenz Musikalische Leitung | Levente Zsíros |
Chorleitung | Gábor Csiki |
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HANDLUNG
János Valuska ist gewissermaßen der edle Narr des Dorfes, ein Zeitungsausträger bei der Post. Er unterscheidet sich von den anderen Dorfbewohnern: Er ist nicht von Machtgelüsten getrieben, er ist ehrlich und unschuldig, im Gegensatz zu seiner Mutter, Frau Pflaum, die ständig mit ihrem Sohn im Streit liegt. Er ist fasziniert von der Welt und bestaunt die Schönheit des Universums und der Planeten mit einer fast kindlichen Naivität, die er sogar versucht, den örtlichen Kneipengängern zu erklären. Doch alle stehen diesen Schönheiten teilnahmslos gegenüber, vor allem Tünde, die Bürgermeisterin, die einen Wanderzirkus in die Stadt einlädt - mit fatalen Folgen: Um etwas Neues aufzubauen, muss sie das bestehende System abschaffen, und der vom Zirkus erregte Mob erweist sich als hervorragendes Mittel dazu.
Die Hauptattraktion des Zirkus ist der größte präparierte Wal der Welt, und der andere soll ein mysteriöser, vielleicht nicht existierender, dreiäugiger, zwitschernder Prinz sein. Eine Weltanschauung, an die sich jeder klammern kann. Nach einem schrecklichen Akt der Plünderung und Brandstiftung wird in der Stadt eine neue - militärische - Ordnung eingeführt, und Valuska rettet sich nur dadurch, dass er als Verrückter eingesperrt wird. So wie er früher Tündes Mann, den pensionierten, desillusionierten und verbitterten intellektuellen Professor, besuchte, ist es nun Aufgabe des alten Lehrers, Valuska in der Anstalt zu begleiten.
EINBLICKE
Péter Eötvös über seine Oper
Valuska ist Ihre erste Oper auf Ungarisch und fußt auf dem Roman Die Melancholie des Widerstandes von László Krasznahorkai. Wieso bei diesem Werk?
Ich habe anfangs nie daran gedacht, eine Oper in ungarischer Sprache zu komponieren, aus mehreren Gründen. Nach dem Erfolg von Drei Schwestern erhielt ich immer wieder Aufträge für Opern in verschiedenen Sprachen. Und Herzog Blaubarts Burg von Bartók, die ich mehrmals dirigiert habe, so kraftvoll und einzigartig, dass ich es nicht wagte, einen ungarischen Text anzurühren. Als ich von der Ungarischen Staatsoper mit diesem Auftrag geehrt wurde, war es offensichtlich, dass sie an eine Oper in ungarischer Sprache dachten. Außerdem hatte ich bereits viel Erfahrung mit 12 Opern, weshalb ich den Auftrag gerne annahm. Einen geeigneten Stoff zu finden, dauert immer sehr lange.
Krasznahorkais Sprache ist etwas ganz Besonderes, es handelt sich meist um eine Aneinanderreihung von Gedanken und die Formulierung einer nicht theatralischen Handlung, die ich spannend fand, in eine Bühnenhandlung umzusetzen. Natürlich habe ich fast alle seine Bücher mit meiner Frau Mari Mezei gelesen, die von Anfang an mit mir an den Libretti meiner Opern gearbeitet hat. Die Melancholie des Widerstands, 1989 erschienen, liefert mir zwei Figuren, die ich schon beim Lesen in meinem Kopf höre. Zum einen hat mich die Figur des Prinzen, der gar nicht auftaucht, in seinen Bann gezogen. Lange Zeit war es schwierig zu verstehen, wer das ist, wen er kontrolliert und warum, und was ihn antreibt. Aber inzwischen gibt es so viele ähnliche Figuren im internationalen politischen Leben, dass es nicht schwer war, Antworten zu finden. Die andere wichtige Figur ist unsere Titelfigur, Valuska, der mit seiner reinen, 'nicht von dieser Welt' stammenden Unschuld einen Kontrapunkt zu all den anderen Figuren setzt, und damit kann man musikalisch eine Menge anfangen.
Was ist besonders daran, auf Ungarisch zu komponieren?
Meine früheren Opern entstanden alle in verschiedenen Sprachen, so dass die erste musikalische Orientierung nicht die Bedeutung der Worte, sondern der Rhythmus war. In der ungarischen Sprache, die meine Muttersprache ist, steht für mich die Bedeutung im Vordergrund. Deshalb war es wichtig, sie ein wenig außer Acht zu lassen und sich mehr mit dem Rhythmus zu beschäftigen. Vor allem Krasznahorkais ungewöhnliche Wortverbindungen, die musikalische Qualität des Wort- und Satzrhythmus waren die Grundlage für die Auswahl des Textes. Der Chor greift z. B. auf die Vokale zurück, unabhängig von der ursprünglichen Bedeutung des Textes, oder auf eine Reihe von Wörtern mit ähnlichem Muster, die ein rhythmisches Modell bilden. So wird das Kartenspiel im Buch zu einem Wortspiel, bei dem derjenige gewinnt, der die Karte mit dem Wort mit den meisten Silben in der Hand hält.
Wie kann man den Roman für die Bühnen adaptieren?
Die Opernbühne braucht eine Art dramatische Geschichte, Dialoge und starke Figuren. Bei Krasznahorkai ist alles in der Erzählung versteckt. Ich bin der Dramaturgin Kinga Keszthelyi, einer der Librettisten, zu Dank verpflichtet, dass sie die bühnentauglichen Dialoge ermittelt und hervorgehoben hat. Fast jedes Wort und jeder Satz ist der Originaltext des Autors, nur anders zusammengesetzt. An den Figuren wurden hingegen Änderungen vorgenommen: Einige mussten weggelassen werden, die verbleibenden bekamen stärkere oder weichere Eigenschaften oder wurden in einigen Fällen beeinflusst. So wurde zum Beispiel Tünde von der Leiterin eines einfachen Frauenvereins zur Bürgermeisterin. Sie steuert die Walfangmannschaft im Hintergrund, sie ist es, die den Befehl zum Einmarsch des Militärs gibt, alles natürlich nur, um ihre eigene Position zu stärken.
Es gibt auch einige einzigartige Ausdrücke in Krasznahorkais Texten, die auf der Bühne unverändert rezitiert werden und für das Publikum verständlich sein müssen. Deshalb haben wir die Rolle des Erzählers / Hagelmayer eingeführt, eine Sprechrolle, die uns durch die Geschichte führt und gelegentlich aus dem Originaltext zitiert.
Was ist für Sie das Wichtigste, das Sie mit dem Stück hervorheben möchten, und wie deutet es sich in der Musik?
Ich sehe den Schwerpunkt in dem Konflikt zwischen der Masse und dem Einzelnen, sowie in der zunehmenden Manipulation im Hintergrund, die für unsere Zeit weltweit typisch ist. Die Technik der Manipulation ist hoch entwickelt, sie kann die Massen auf subtile Weise zu den erstaunlichsten Taten treiben. Der unsichtbare Fürst kann sie zum Beispiel allmählich dazu fanatisieren, ganze Städte zu zerstören. Alle scheinen gegen ihn machtlos zu sein, und am Ende, wenn alle gefangen sind, gelingt ihm die Flucht. Es genügt, Euronews zu verfolgen, um zu sehen, was in der Welt passiert... Die Einbeziehung eines Chors in die Oper war von Anfang an gewünscht, und er ist in der Tat geeignet, diese Elemente der Handlung zu unterstreichen. Es stehen 35 Sänger auf der Bühne, sie singen mit wechselnder Intensität. Das Gleichgewicht spielt eine wichtige Rolle in der Strukturierung der Szenen, in den Soli von Valuska, den Duetten, den Terzetten und der immer größer werdenden Formation des Chors.
Welche Art von Musik können wir erwarten?
Wie der Untertitel "Tragikomödie mit Musik" andeutet, betrachte ich die Musik dieser Oper als einen Übergang zwischen Prosa-Theater und Oper als Theater. Sie wurde wahrscheinlich auch durch die Qualität des Auditoriums der Eiffel Art Studios beeinflusst. Das Orchester ist von den Musik-/Lärm-/Brummeffekten des Theaters geprägt, seine Sitzordnung ist stereo: die linke und rechte Seite sind spiegelsymmetrisch angeordnet, was sehr effektiv ist. Auf beiden Seiten befinden sich 2 Kontrabässe, 4 Blechblasinstrumente mit 4 Holzbläsern davor, 4 Schlagzeuginstrumente wiederum davor und 16 Streichinstrumente in der Mitte.
Der wichtigste Teil der Komposition war das Schreiben der beiden großen Arien von Valuska. Ich musste die musikalischen Merkmale finden, die genau das ausdrücken, was ich ihm vermitteln wollte. Es war sehr hilfreich, dass Zsolt Haja die Rolle übernommen hat, denn ich hatte schon vorher mit ihm gearbeitet und kannte seine Stimme gut. Seine besonders samtige Stimme, die weiche hohe Lage und die schwebende Qualität prädestinierten ihn für die Rolle des Valuska, des reinen Herzens, des allsehenden, aber unfähigen Jungen, dem ich in seinem Monolog pantheistische Qualitäten verlieh. Ich habe irgendwo gelesen, dass der Pantheismus mit der pentatonischen Tonleiter zusammenhängt, also beginnt auch Valuskas Monolog mit dem Auge des Wals in Pentatonik.
Jede meiner Opern ist anders. Verschiedene Kulturen, Sprachen, Themen und musikalische Welten, aber gleichzeitig sind sie alle meine musikalische Welt. Ihnen gemeinsam ist, dass ich mich nur mit zeitgenössischen Autoren und Themen beschäftige.
Gleichzeitig habe ich auch die deutsche Fassung von Valuska komponiert, die im Februar 2024 in Regensburg aufgeführt wird. Jetzt, wo beide Fassungen fertig sind, muss ich sagen, dass mir die Arbeit mit dem ungarischen Text sehr gut gefallen hat, er hat viel mehr von der 'Tragikomödie', die der Untertitel nahelegt, als die deutsche Übersetzung. Ich hoffe, das Publikum wird es auch lieben. Ich bin der Ungarischen Staatsoper dankbar, dass sie für alle meine Wünsche offen war und mir eine so hervorragende Besetzung und Kreativteam zur Verfügung gestellt hat.
Nach einem Interview mit Dramaturgin Diána Eszter Mátrai