Auszüge aus dem Diskurs eines (Opern)liebhabers
Vor kurzem haben wir eine Ausgabe des tollen Buches Fragmente einer Sprache der Liebe* von Roland Barthers gefunden. Das Buch beinhaltet eine Reihe von „Fragmenten“, manche von ihnen stammen aus der Literatur und manche entstanden aus seinen eigenen philosophischen Gedanken, aus der Sicht eines Liebhabers. Wir haben versucht, passend zu den Liebesfragmenten verfügbare Opern auf OperaVision zu suchen und wie nicht anders zu erwarten, haben wir einige gefunden. Schließlich ist Liebe das opernhafteste aller Gefühle.
Die Liebe lieben – Un dì, felice, eterea (La traviata)
„ENTWERTUNG: Mit Hilfe der Sprache entwertet das Subjekt das geliebte Objekt durch den Umfang der Liebe selbst: durch eine besondere amouröse Perversion, ist das Subjekt in die Liebe an sich verliebt und nicht in das Objekt." (Barthes, a.a.O)
Ist Alfredo Germont wirklich schon seit dem ersten Augenblick in Violetta Valéry verliebt oder ist er nur in die Vorstellung der Liebe an sich verliebt? Am Ende des ersten Aktes von La traviata, sehen wir die erfahrene Violetta, wie sie sich freundlich über ihren jungen Verehrer lustig macht, doch am Ende erliegt sie ihrer Leidenschaft für ihn. Liebe kann alles besiegen…
„Seit einem Jahr schon. So hold, so reizend und engelsmild standst du vor meinen Blicken; nie füllte so mich ein Frauenbild mit himmlischer Wonn' und Entzücken. Liebe, ach, Liebe, allmächt'ges Gottesherz, dass die ganze Welt beweget, Liebe, die mit Wonne und sel'gem Schmerz jede Brust erreget.“
Und es blitzen die Sterne – E lucevan le stelle (Tosca)
„GEDENKEN: Glückliche und/oder quälende Erinnerungen an ein Objekt, eine Geste, eine Szene, gebunden an das geliebte Lebewesen und gekennzeichnet durch die Anwendung des Imperfektes in der Grammatik des Liebesdiskurses.“ (Barthes, a.a.O)
Während Mario Cavaradossi auf seine Hinrichtung wartet, die auf dem Dach des Castel Sant’Angelo stattfinden soll, schwelgt er in Erinnerungen an die schönen Zeiten mit der Sängerin Tosca. Das ist nun Vergangenheit und so bleibt nur noch die süße Erinnerung an die zärtlichen Treffen mit Floria Tosca. Der starke Kontrast zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart reißen Cavardossi in Stücke.
„O süße Küsse, schmachtendes Liebkosen, während ich bebend enthüllte die in Schleiern verborgenen Reize ihrer Formen. Für immer ist der Liebesrausch dahin, verflogen ist die Stunde…und ich sterbe in Verzweiflung! Und habe nie zuvor das Leben so geliebt!“
Gestohlene Küsse – Mes longs cheveux (Pelléas et Mélisande)
„BERÜHRUNGEN: Die Figur bezieht sich auf jeden inneren Diskurs, der durch einen Körperkontakt mit dem begehrten Lebewesen hervorgerufen wurde.“ (Barthes, a.a.O)
Die verbotene Liebe zwischen Pelléas und seiner Schwägerin Mélisande kommt in Debussys Oper nie zu Stande. So bleibt dem Zuschauer, wie auch Golaud, ihr rechtmäßiger Ehemann, die Frage offen, ob sie ihre Leidenschaft jemals ausgelebt haben. In einer der spannendsten Szenen von Pelléas et Mélisande, lässt Mélisande ihr Haar von einem Fenster herab. Pelléas greift danach und wickelt es sich um den Hals.
„Schau, ich küsse dein Haar… Ich leide nicht mehr inmitten deines Haares… Hörst du meine Küsse in deinen Haarsträhnen?... Sie klettern dein Haar empor. Jede einzelne trägt einen…“
Die Sternenferne Welt – Winterstürme / Du bist der Lenz (die Walküre)
„ENTWIRKLICHUNG: Ein Gefühl der Abwesenheit und Aufhebung der Realität durch das Thema Liebe gegenüber der Welt.“ (Barthes, a.a.O)
Nachdem Sieglinde Siegmund bei der Flucht vor ihrem Ehemann Hunding hilft und ihm ein Schwert schenkt, das draußen in einem Baum gesteckt hatte, vergleicht Siegmund seine Liebe für Sieglinde mit der Schönheit des Frühlings. Sieglinde erwidert seine Liebe, obwohl er ihr Zwillingsbruder ist.
Sehen Sie sich die volle Version die Walküre bis zum 17.05.2018 auf OperaVision an.
„Dich grüßte mein Herz mit heiligem Grau’n, als dein Blick zuerst mir erblühte. Fremdes nur sah ich von je, freudlos war mir das Nahe. Als hätt’ ich nie es gekannt, war, was immer mir kam“
Sich zu täuschen und zu vergeben – Contessa Perdono (Le nozze di Figaro)
„MONSTRÖS: Das Subjekt realisiert plötzlich, dass es das geliebte Objekt in einem Netz der Tyrannei einschließt: es war bedauernswert, doch jetzt ist es monströs.“ (Barthes, a.a.O)
Reumütig und beschämt, bittet der Graf die Gräfin um Vergebung für seinen Versuch Susanna zu verführen. Die Gräfin, gutherziger als ihr Gatte, vergibt ihrem Ehemann und alle sind zufrieden. Die Oper endet mit einer gemeinsamen Feier.
„GRAF: O Gräfin, verzeih mir! Verzeih mir!GRÄFIN: Wie könnt ich denn zürnen, mein Herz spricht für dich.ALLE: So blühet uns allen das herrlichste Glück! Alles, was an diesem Tage uns verwirrte, uns betrübte, kann allein die Liebe wandeln in Vertraun und Freudigkeit.“
*Roland., Barthes, (2010). A lover's discourse : fragments. Howard, Richard, 1929-, Koestenbaum, Wayne. (Pbk. ed ed.). New York, N.Y.: Hill and Wang. Eigene Übersetzung.