Unknown, I Live With You – Afghanische Stimmen stärken

Bevor die Bilder aus Afghanistan in diesem Sommer unsere Bildschirme füllten, beschäftigte sich der Opernregisseur Krystian Lada bereits mit der Stimme afghanischer Künstlerinnen. Seine Operninstallation Unknown, I Live With You aus dem Jahr 2018 nahm das weltweite öffentliche Engagement für die Stärkung der afghanischen Kunst vorweg. Was sich für viele, die seine experimentelle Performance sahen, wie Science-Fiction anfühlte, entpuppte sich als seine subjektive Sicht auf die Realität.

Opera Europa ist davon überzeugt, dass Musik eine universelle Sprache ist, die von allen Völkern verstanden wird, die zu den Herzen aller Menschen spricht und die Gefühle aller Menschen ausdrückt und zum Ausdruck bringt. Anlässlich des World Opera Day am 25. Oktober ruft Opera Europa gemeinsam mit der European Concert Hall Organisation (ECHO) alle Spielstätten der darstellenden Künste auf, sich im Rahmen der Afghanistan-Charta für die Sichtbarkeit afghanischer Musik und Musiker einzusetzen.

Inspiriert von der rohen Kraft der Poesie, die von afghanischen Frauen unter dem Taliban-Regime geschrieben wurde, konzipierte der polnische Regisseur eine Installation, die die emotionale Kraft der Oper mit sozial engagierter Kunst verbindet. Er verband Opernsängerinnen, eine Tänzerin, ein Streichquartett und Live-Electronik auf der Bühne in einem einzigartigen, immersiven Format, der Performance Unknown, I Live With You.

Die Aufführung rückt die ergreifenden Gedichte zeitgenössischer afghanischer Schriftstellerinnen wie Roya, Meena Z., Fattemah AH und Freshta in den Mittelpunkt. Als Teilnehmerinnen des Afghan Women's Writing Project wagten sie es, sich über die Regeln hinwegzusetzen und ihre eigenen Geschichten zu erzählen. Im von der Taliban regierten Afghanistan war ihnen das Schreiben und jede Form des künstlerischen Ausdrucks verboten. Daher nahmen die meisten Schriftstellerinnen anonym an den geheimen Workshops für kreatives Schreiben teil. Diese Geheimhaltung erlaubt einen seltenen Einblick in ihre ungefilterte Realität - frei von der Kontrolle ihrer Väter, Brüder oder Ehemänner. Das Ergebnis ist ungeschliffen, gewagt und oft erschütternd. Trotz der besonders bedrückenden politischen Umstände vermitteln ihre Schriften eine universelle Geschichte - die Geschichte von Frauenstimmen, die in einer patriarchalischen Gesellschaft für Freiheit kämpfen.

Unknown, I Live With You schöpft seine Schlagkraft aus der unerwarteten Konfrontation dieser einfachen, ergreifenden Texte des Aufbegehrens mit westlicher Avantgarde-Musik. Die polnische Komponistin Katarzyna Glowicka hat für diese Gedichte eine betörende Partitur geschrieben. Glowicka kreuzt Opernstimmen mit Live-Elektronik und stellt formalen Minimalismus und emotionsgeladene, volkstümlich inspirierte Melodien einander gegenüber. Die Komposition ist in Form eines Triptychons strukturiert, dem ein Prolog vorausgeht. Die polnische Operndiva Malgorzata Walewska, die amerikanische Mezzosopranistin Raehann Bryce-Davis und die amerikanische Transgender-Baritonin Lucia Lucas verkörpern jeweils einen anderen weiblichen (Arche-)Typus und präsentieren einen anderen Stimmumfang.

Die Installation wurde in dem einzigartigen Raum von Les Brigittines, einer ehemaligen Barockkapelle, die in einen Raum für darstellende Kunst umgewandelt wurde, uraufgeführt und gefilmt. Sie lädt das Publikum ein, sich frei durch das Bühnenbild zu bewegen und den Raum mit den Darsteller*innen zu teilen. Durch die Auflösung der Konvention der frontalen Inszenierung drängt die Performance auch dazu, die Kategorien „wir“ - das Publikum, der Westen - und „sie“ - die Performerinnen, afghanische Frauen - hinter sich zu lassen.

Als solche wirft die Installation komplexe Fragen rund um das ethische Prinzip, denen ohne Stimme eine solche zu verleihen, auf. Die Performance veranschaulicht unweigerlich das Machtgefälle, wenn westliche Künstler auf den Kampf der afghanischen Frauen aufmerksam machen. Nichtsdestotrotz zeigt Unknown, I live with you, indem die eigenen Worte dieser Frauen in Musik gesetzt werden, dass ihre Stimme existiert, unabhängig davon, ob wir uns ihrer bewusst sind oder nicht. Die Verlagerung des Blickwinkels weg von dem augenscheinlichen Nichtvorhandensein einer Stimme hin zur Tatsache, dass es an Zuhörern mangelt, ist an sich schon eine bedeutsame politische Aussage.

Besetzung & Kreativteam

Freshta, Fattemah AH, Meena Z., Roya (Autorinnen) // Katarzyna Glowicka (Komponistin & Live Electronics Performerin) // Krystian Lada (Regisseur & Konzept) // Natalia Kitamikado (Kostümdesignerin & Szenografin) // Maarten Warmerdam (Lichtdesigner) // Pedro Beriso (Musikalischer Leiter) // Pim Dinghs (Regieassistent/Videoregisseur) // Alison Dujardin (Bühnenmanagerin) // Sarah Roman (Make-up & Friseurin) // Jasper Flikschuh (Kameramann) ) // Toon Minnen (Herausgeber) // Raehann Bryce-Davis, Lucia Lucas, Malgorzata Walewska (Sängerinnen) // Sara Jo Benoot (Understudy) // Gala Moody (Tänzerin) // Tomasz Aleksander Plusa (Erste Violine) // Aleksandra Kwiatkowska (Zweite Violine) // Natania Hoffman (Cello) // Clara Sawada (Bratsche) // Lydia Doubroumoff, Hind Hussein, Elijah Gori, Richard Aliénor, Anne Nouwynck, Byun Sondag, Stéphanie Goemaere Alison Dujardin (Volunteers / Performer)

Produziert von The Airport Society
Co-Produktion: Nuit Blanche (Brüssel), Les Brigittines (Brüssel)
In Zusammenarbeit mit dem Polnischen Institut - Kulturdienst der Botschaft der Republik Polen in Brüssel