Johannes-Passion
Bachs bahnbrechendes Werk der sakralen Kunst malt ein monumentales Fresko der Reise des Lebens zur Erlösung. Calixto Bieito, einer der aufregendsten Regisseure seiner Generation, inszeniert dieses Oratorium. Mit Hilfe einer exzellenten Besetzung, dem historischen Orchester Les Talens Lyriques und einer Gruppe von Amateursänger*innen, die den Chor im Zentrum der Erzählung bilden, führt er uns in einen Dialog mit diesem Werk, und eine Auseinandersetzung mit Schmerz und Tod in der heutigen Zeit.
Besetzung
Jesus | Benjamin Appl |
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The Evangelist | Joshua Ellicott |
Sopranistinnen | Lenneke Ruiten |
Alto | Carlos Mena |
Tenor / aria | Robert Murray |
Bass / Pilate | Andreas Wolf |
A female servant | Céline Boudineau* |
A male servant | Joseph Ben Zakoun* |
Pierre | Arnaud Keller* |
Chor | Chœur de Paris |
Orchester | Les Talens Lyriques |
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Musik | Johann Sebastian Bach |
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Dirigent | Philippe Pierlot |
Inszenierung | Calixto Bieito, revival by Lucía Astigarraga |
Bühne | Aida-Leonor Guardia |
Licht | Michael Bauer |
Kostüme | Ingo Krügler |
Chorleitung | Till Aly |
Musikalische Assistenz | Clément Lonca |
Costume designer assistant | Paula Klein |
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Video
Handlung
Die Passionserzählung schildert die letzten Stunden Jesu, von seiner Verhaftung bis zu seinem Begräbnis.
Der erste Teil erzählt vom Verrat Judas und der Verleugnung des Petrus. Dieser leugnet dreimal, einer der Jünger Jesu zu sein. Sofort kräht ein Hahn und erfüllt damit die Vorhersage, die Jesus ein paar Tage zuvor gemacht hat.
Der zweite Teil zeigt die Gegenüberstellung mit Pilatus. Dieser Römer, Präfekt von Judäa, wird von der Menge und den Priestern bedrängt, Jesus zu verurteilen. Er versucht, ihn zu befreien, doch am Ende liefert er ihn an sie aus, obwohl er keinen Grund für eine Verurteilung sieht. Auf das Kreuz, an das Jesus geschlagen wird, lässt Pilatus "Jesus von Nazareth, König der Juden" schreiben. Verfolgt von den Soldaten (Dornenkrone, Teilen der Kleider, Bespritzen mit Essig), stirbt Jesus am Kreuz. Ein letzter Speerstoß in die Seite lässt Blut und Wasser heraussprudeln. Pilatus erlaubt, dass der Leichnam Jesu weggetragen und in ein Leichentuch gewickelt und dann in die Gruft gelegt wird.
Die biblische Geschichte, entnommen aus Luthers Übersetzung des Johannesevangeliums, wird durch Refrains ergänzt, welche die Leidenschaften und Zweifel der Gläubigen oder die Wut der Menge abbilden. Eine dritte Stimme, ebenfalls vom Chor gesungen, vermittelt das dogmatische Denken der deutschen evangelischen Gemeinde.
Einblicke
Die Johannespassion als weltliche Liturgie
Johann Sebastian Bach - das ist ein Name, den Sie bei OperaVision nicht erwartet hätten. Obwohl er nie eine Oper schrieb, zeigte sich der deutsche Barockkomponist (1685-1750) oft sensibel für die dramatische Dimension seines liturgischen Repertoires. Vor allem einige seiner weltlichen Kantaten weisen eine fast opernhafte Qualität auf. Er zögerte nicht, sie „dramma per musica‟ - italienisch für Drama für Musik - zu nennen, derselbe Begriff, der für „opere serie‟ verwendet wurde, den edlen Stil der italienischen Oper, der zu seiner Zeit in ganz Europa beliebt war. Dennoch ist es von dort noch ein weiter Weg zur Oper. Verfolgen wir die Schritte zurück, die dazu führen, dass die Passion, die als funktionale Kirchenmusik konzipiert und damit zum Standard-Konzertrepertoire geworden ist, heute auf einer Opernplattform gestreamt wird.
Bach arbeitete immer wieder an der Johannespassion, von seinem ersten Jahr als Kantor der Thomaskirche bis kurz vor seinem Tod. Er experimentierte mit ihr wie mit keiner anderen groß angelegten Komposition und schuf über 25 Jahre hinweg mehrere Überarbeitungen. Das allein beweist, welchen Stellenwert das Werk in seinem Schaffen und in seinem Herzen hat. Die am Karfreitag 1724 in der evangelischen Nikolaikirche in Leipzig uraufgeführte Passion ist in zwei Hälften gegliedert, die eine Predigt begleiten sollen. Das anonyme Libretto greift auf eine Mischung verschiedener Textgattungen zurück, wobei es, wie damals üblich, auch schon vorhandene Werke einbezieht. Es besteht aus Rezitativen und Refrains, die die Passion Christi, wie sie im Johannesevangelium erzählt wird, wiedergeben, aus Ariosi und Arien, die das Geschehen kommentieren, und aus Chorälen, die auf Hymnen und Texten basieren, die der Gemeinde vertraut und leicht zu singen sind.
Hier kommt die Produktion der Johannespassion des Théâtre du Châtelet ins Spiel, die in Koproduktion mit dem Teatro Arriaga in Bilbao entstanden ist. Der spanische Regisseur Calixto Bieito war von Anfang an entschlossen, Amateursänger:innen für den Chor zu engagieren, der das Herzstück der Erzählung bildet: „In Bilbao ist Chorgesang eine echte Tradition, die mehr als zwei Jahrhunderte zurückreicht. (...) Es war für mich selbstverständlich, den Chor zum Zentrum dieser weltlichen, heidnischen und spirituellen Liturgie zu machen‟. Bieito, der für seine radikalen Deutungen ist, sehnte sich seit vielen Jahren danach, die Passion zu inszenieren. Ein szenisches Oratorium war für ihn kein Widerspruch, denn er ist überzeugt, dass die biblischen Texte vielschichtig genug für eine nicht nur rein buchstäbliche Auslegung. „Sie spiegeln unsere Sehnsüchte, Frustrationen und Fantasien wider und drücken vor allem unser tiefes Bedürfnis aus, zu glauben, sowohl im einfachsten als auch im komplexesten Sinne des Wortes.‟
Der abstrakte szenische Raum, den Bieito schafft, bildet einen ästhetischen Kontrast, der durch die zeitgenössischen Kostüme nur noch verstärkt wird. Zusammen zeugen sie von seinem Wunsch, eine säkulare Liturgie für heute zu erschaffen. Er entwirft eine Reihe von suggestiven Bildern und allegorischen Szenen, die die zahllosen Opfer darstellen, die das 20. und 21. Jahrhundert in Europa gefordert hat, beginnend mit dem Leiden eines einzelnen Menschen und endend mit einem gemeinsamen Grab. „Bachs Musik bietet eine großartige Möglichkeit, die Schwierigkeit unserer Existenzen sowie die Undurchsichtigkeit eines Systems, das die Menschen unterdrückt, zu thematisieren. Mit Bach entdecken wir die Zerbrechlichkeit, Schönheit und Grausamkeit unserer Zeit neu.‟