Im Februar 1972 reiste der US-Präsident Richard Nixon für ein Treffen mit Mao Zedong nach China. Diese Begegnung markierte im Kontext des Vietnamkriegs und des Kalten Krieges einen Wendepunkt der politischen Beziehungen zwischen China und den USA. Nixon in China beschäftigt sich mit dem Auftauen der Beziehungen infolge einer Ping-Pong-Diplomatie, die mit einer Einladung der amerikanischen Tischtennisspieler an ihre chinesischen Kollegen ein Jahr vor dem Besuch des Präsidenten begonnen hatte.
Der Komponist John Adams machte dieses Ereignis der jüngeren Geschichte zum Thema seiner ersten Oper (uraufgeführt 1987), in der er pulsierende und repetitive Elemente der Minimal Music mit großen lyrischen Melodien verknüpft. Statt eines plakativen politischen Spektakels rückt Nixon in China die Protagonist:innen als echte Menschen in den Fokus: Von Pomp öffentlicher Auftritte bis hin zur Intimität privatester Momente der Figuren gelingt es Adams und der Librettistin Alice Goodman, die Schicksale hinter den Schlagzeilen freizulegen. Auf OperaVision wird nun die ungarische Erstaufführung dieser bahnbrechenden amerikanischen Oper in einer Inszenierung von András Almási-Tóth unter der Leitung von Gergely Vajda live aus der Staatsoper in Budapest übertragen.
BESETZUNG
Richard Nixon | Károly Szemerédy |
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Pat Nixon | Klára Kolonits |
Mao Zedong | Zoltán Nyári |
Jiang Qing | Rita Rácz |
Zhou Enlai | Azat Malik |
Henry Kissinger | István Kovács |
Nancy Tang, erste Sekretärin Maos | Diána Ivett Kiss |
Zweite Sekretärin Maos | Anna Csenge Fürjes |
Dritte Sekretärin Maos | Lusine Sahakyan |
Besetzung des Balletts „Das rote Frauenbataillon“ | Aleksandra Abrashina Florence Joffre Ágnes Riedl Roland Jónás Patrik Keresztes László Takács |
Orchester | Hungarian State Opera Orchestra |
Chor | Chor der Hungarian State Opera |
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Musik | John Adams |
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Text | Alice Goodman |
Musikalische Leitung | Gergely Vajda |
Regie | András Almási-Tóth |
Bühne, Licht und Video | Sebastian Hannak |
Kostüme | Richárd Márton |
Bewegung | Eszter Lázár |
Sinologin | Ágota Révész |
Film | Zsombor Czeglédi |
Ungarische Übersetzungen | Minka Benkő |
Künstlerische Assistent.innen | Erika Tóth Albert Mányik |
Musikalische Assistent.innen | László Bartal Kálmán Szennai Bálint Zsoldos Balázs Kálvin Zsófia Faragó Dárius Teremi |
Ballettmeister | Katalin Stáry |
Chorleitung | Gábor Csiki |
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Handlung
Die Handlung findet in Peking (Beijing), China, im Februar 1972 statt.
I. Akt
Ein Flugplatz außerhalb von Peking. Es ist ein kalter, klarer, trockener Morgen am Montag, dem 21. Februar 1972. Premierminister Zhou Enlai schlendert mit einer kleinen Gruppe von Beamt:innen auf die Landebahn, als die Spirit of ‘76 in Sichtweite rollt. Präsident Richard Nixon, seine Frau Pat und ihre Begleitung gehen von Bord. Nixon und Zhou Enlai schütteln sich die Hände und der Präsident singt von seiner Aufregung und seinen Ängsten.
Eine Stunde später trifft er sich mit dem Vorsitzenden Mao Zedong. Im Gespräch erweist sich Mao als Meister philosophischer Sentenzen, unerwarteter politischer Beobachtungen und als Sprücheklopfer; alles, was er singt, wird von den Sekretärinnen und dem Premierminister verstärkt. Für Nixon, einen Mann aus dem Westen, ist es nicht leicht, sich in einem solchen Gespräch zu behaupten.
Beim Festbankett des ersten Abends nach der Audienz bei Mao herrscht allgemeine Euphorie. Der Präsident wechselt nur einige Worte mit seiner Frau, da macht Premierminister Zhou den ersten Trinkspruch des Abends – eine Hommage an patriotische Verbrüderung. Der Präsident erwidert dies mit einem Toast auf das chinesische Volk und die Hoffnung auf Frieden. Im Laufe des Abends folgt ein lockerer Trinkspruch dem nächsten.
II. Akt
Am nächsten Morgen tritt Pat Nixon in Begleitung von Reiseführer:innen und Journalist:innen auf. Sie schildert, wie sich das Leben als First Lady für eine Frau wie sie anfühlt, und nimmt eine gläserne Elefantenfigur von den Arbeiter:innen der Pekinger Glasfabrik entgegen. Neben der Volkskommune Immergrün besucht sie den Sommerpalast, wo sie am Tor der Langlebigkeit und des guten Willens innehält und „This is prophetic!“ („Das ist prophetisch!“) singt. Weiter geht es, noch vor Sonnenuntergang, zu den Ming-Gräbern.
Am Abend besuchen die Nixons eine Aufführung des revolutionären Balletts „Das rote Frauenbataillon“ von Maos Frau Jiang Qing. Das Ballett verbindet ideologische Geradlinigkeit mit Emotionen im Hollywood-Stil. Die Nixons reagieren auf Letzteres: Sie fühlen mit dem unterdrückten Bauernmädchen und werden in die Handlung hinein- auf die Seite der einfachen Tugend gezogen – was nicht gerade der Intention von Jiang Qing entspricht. Diese singt „I am the wife of Mao Zedong“ („Ich bin die Frau von Mao Zedong“), was unter vollem Choreinsatz endet.
III. Akt
Der letzte Abend in Peking. Der Pomp und das öffentliche Programm des Präsidentenbesuchs sind vorbei – die Hauptcharaktere ziehen sich in die Einsamkeit ihrer Schlafzimmer zurück. Gespräche werden zu Erinnerungen an die Vergangenheit. Mao und seine Frau tanzen miteinander; die Nixons erinnern sich an die Anfänge ihrer Ehe während des Zweiten Weltkriegs, als er als Marinekommandant im Pazifik stationiert war. Am Ende der Oper stellt Zhou die Frage, ob alles, was sie getan haben, gut war …
Nach einer Handlung von Alice Goodman mit freundlicher Genehmigung der Metropolitan Opera
EINBLICKE
Politik, Geschichte, Mythos und Träume
von András Almási-Tóth, Regisseur
Aus Politik wird mit der Zeit Geschichte, aus Geschichte wird Mythos – und der ist nur noch einen Schritt entfernt von der Welt der Träume. Wie weit kann man von einfachen Fakten abkommen! Nixons Besuch in China wurde schon zu seiner Zeit zur Geschichte, tituliert als „Die Woche, die die Welt veränderte“. Es ist kein Wunder, dass das künstlerische Trio Sellars, Goodman und Adams darin eine Chance sah.
Die nüchternen Fakten verwandeln sich vor unseren Augen in Träume; die Grenze zwischen objektiver und subjektiver Erzählung verschwimmt. Die Oper erzählt die Geschichte in einer gespiegelten Struktur, oder besser gesagt, wie die Brechung in einem Doppelspiegel. Sie beginnt mit der Realität und zitiert wortwörtlich gut dokumentierte historische Ereignisse. Diese Realität wandelt sich anscheinend jedoch immer mehr zu einer inneren Realität – die innersten Gedanken der Figuren treten hervor. Im 2. Akt dominiert Subjektivität, zunächst durch Pats Besuch in China, dann in der Theateraufführung, deren Handlung vollständig in die Welt der Träume und Visionen versetzt ist. Alles wird in dem Drama sowie von den drei Sekretärinnen in der Szene des „wortwörtlichen Theaters“ vorhergesagt. Der 3. Akt kehrt zurück in die Realität, wenn auch in eine subjektive hinter der politischen Ebene. In unserer Aufführung machen wir in der in der Mitte des 2. Akts eine Zäsur. So wird die Spiegelung deutlich: objektive Realität – innere Realität vs. Traum – subjektive Realität. Hier ist dem Trio Sellars, Goodman und Adams eine Art Schakespeare’sche Dramaturgie in einem ausgezeichnet modernen Rahmen gelungen.
Wie jedes Meisterwerk bietet Nixon in China mehr als die historischen Ereignisse und findet deswegen auch heute noch Anklang. Obwohl die Beziehungen zwischen China und dem Rest der Welt ein aktuelles und globales Thema sind, erforscht die Oper mehr als das, nämlich ein ganz entscheidendes Problem in Europa und auf der ganzen Welt: Wie kann man miteinander auskommen? Wie können all die unterschiedlichen politischen, ethnischen, religiösen und moralischen Ansichten, die verschiedenen Kulturen, die unterschiedlichen Standpunkte nebeneinander bestehen? Wie können wir akzeptieren, was uns fremd ist (man muss es nicht lieben, Akzeptanz reicht), wo es doch immer eine größere und wichtigere Wahrheit gibt, die unser gemeinsames Ziel sein sollte. So viele Probleme in der Weltgeschichte wurden dadurch verursacht, dass das Unbekannte, das Unverständliche als fremd betrachtet worden ist. Nixons Besuch in China ist ein perfektes Beispiel dafür: Zwei Nationen – einander unbekannt, unverständlich und gegensätzlich – reichen sich die Hand; Koexistenz ist möglich, auch zwischen völlig unterschiedlichen Weltanschauungen.
Unsere ungarische Erstaufführung von Nixon in China wird in den ungewöhnlichen Räumen der Eiffel Art Studios in Budapest in Szene gesetzt, um dem Publikum verschiedene Blickwinkel auf diese „Opernshow“ zu bieten. Adams’ große Oper nutzt alle verfügbaren Mittel des Genres, um in dieser einzigartigen Neuinterpretation ein „ungewöhnliches“ Opernerlebnis zu bieten.