Turn of the screw
Turn of the screw
La Monnaie / De Munt

The Turn of the Screw

Britten
Live in
Diese Vorstellung ist nicht mehr als Video auf unserer Plattform verfügbar. Sie können aber weiterhin das zusätzliche Material der Produktion nutzen.

In einem alten englischen Herrenhaus ist nichts so, wie es scheint. Als eine neue Gouvernante eintrifft, scheinen die ihr anvertrauten Kinder Besuch von Geistern zu bekommen. Welche Schrecken haben sich hier vor ihrer Ankunft ereignet? Sind die Kinder unschuldig? Können wir dem, was wir sehen, wirklich trauen?

Benjamin Brittens The Turn of the Screw, nach einer Gruselgeschichte von Henry James, ist ein Psychothriller im Kammeropernformat. Die vielschichtige und emotionsgeladene Natur des Werks passt ideal zur Regisseurin Andrea Breth. Gemeinsam mit dem britischen Dirigenten Ben Glassberg dreht sie buchstäblich an der Schraube der Fantasie, bis die Spannung unerträglich wird.

Besetzung

Prolog
Ed Lyon
Gouvernante
Sally Matthews
Meilen
Henri de Beauffort
Flora
Katharina Bierweiler
Mrs Grose
Carole Wilson
Peter Quint
Julian Hubbard
Miss Jessel
Giselle Allen
Orchester
Kamerorkest van de Munt / Orchestre de chambre de la Monnaie
...
Musik
Benjamin Britten
Dirigent
Ben Glassberg
Inszenierung
Andrea Breth
Bühne
Raimund Orfeo Voigt
Licht
Alexander Koppelmann
Kostüme
Carla Teti
Text
Myfanwy Piper after the story by Henry James
Künstlerische Zusammenarbeit
Eva Di Domenico
Sounddesign
Christoph Mateka
Konzertmeister
Saténik Khourdoïan
Filmregie
Myriam Hoyer
...

Video

Trailer

TRAILER | THE TURN OF THE SCREW Britten – La Monnaie / De Munt

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Ausschnitt

Malo... than a naughty boy...

In einem alten englischen Herrenhaus ist nichts so, wie es scheint. Als eine neue Gouvernante eintrifft, scheinen die ihr anvertrauten Kinder Besuch von Geistern zu bekommen. Welche Schrecken haben sich hier vor ihrer Ankunft ereignet? Sind die Kinder unschuldig? Können wir dem, was wir sehen, wirklich trauen?

Benjamin Brittens The Turn of the Screw, nach einer Gruselgeschichte von Henry James, ist ein Psychothriller im Kammeropernformat. Die vielschichtige und emotionsgeladene Natur des Werks passt ideal zur Regisseurin Andrea Breth. Gemeinsam mit dem britischen Dirigenten Ben Glassberg dreht sie buchstäblich an der Schraube der Fantasie, bis die Spannung unerträglich wird.

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Hinter den Kulissen

Andrea Breth (Regisseurin)

Die Regisseurin Andrea Breth gibt Einblicke in The Turn of the Screw. Der auf einer Geistergeschichte von Henry James basierende Psychothriller von Benjamin Britten wird Sie bis ins Mark erschüttern.

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Hinter den Kulissen

Einführung zu The Turn of the Screw

In diesem Einführungsvideo erklärt Dirigent Ben Glassberg die musikalische Zuspitzung im Titel, der Generalintendant und künstlerischer Leiter Peter de Caluwe erläutert die Entstehung dieser Produktion, und Raimund Orfeo Voigt nimmt Sie mit auf einen Rundgang durch die Kulissen.

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Handlung

Erster Akt

Prolog
Der Prolog verkündet eine seltsame Geschichte, die nur in handschriftlichen Form in verblichener Tinte vorliegt. Für ihren ersten Job wird einer Gouvernante die Betreuung von zwei heranwachsenden Kindern, Miles und Flora, angeboten. Aber unter einer Bedingung: dass sie niemals ihren Vormund damit belästigt, weder mündlich noch schriftlich. Die junge Frau nimmt die Herausforderung an.

Erste Szene – Die Reise
Voller Hoffnung macht sich die Gouvernante auf den Weg. Wie werden sich die Kinder ihr gegenüber verhalten? Sie hat alles hinter sich gelassen, sie hat niemanden, den sie um Rat fragen kann, und sie wird alles allein entscheiden müssen.

Zweite Szene – Der Empfang
Miles und Flora warten aufgeregt auf die Ankunft der Kinderfrau und fragen Mrs. Grose nach ihr. Als die junge Frau endlich auftaucht, begrüßen sie sie mit einem geübten Knicks. Mrs. Grose bestürmt die Gouvernante mit Informationen über die Kinder, während diese ihr ihren neuen Arbeitsplatz zeigen wollen..

Dritte Szene – Der Brief
Ein offizieller Brief verkündet, dass Miles von der Schule verwiesen wurde. Die Gouvernante und die Haushälterin können sich nicht vorstellen, dass der Junge sich schlecht benommen hat. Während die Kinder ein scheinbar harmloses Lied singen, beschließt die Gouvernante, den Brief unbeantwortet zu lassen.

Viert Szene – Der Turm
Während die Gouvernante allein die Schönheit des Ortes genießt, sieht sie plötzlich einen Fremden auf der Spitze eines Turms. Sie ist erschrocken, denn sie weiß nicht, wer es sein könnte.

Fünfte Szene – Das Fenster
Wieder einmal haben die Kinder Spaß daran, ein Kinderlied zu singen, das aggressiver zu sein scheint als das vorherige. Die Gouvernante hat den Fremden ein zweites Mal gesehen. Laut Mrs. Grose kann es sich nur um Peter Quint handeln, den ehemaligen Diener, der jetzt tot ist. Sie sagt, dass er nicht nur mit den Kindern, sondern auch mit der vorherigen Gouvernante, Miss Jessel, die ebenfalls tot ist, Vertraulichkeiten pflegte.
Es scheint, dass die seltsame Vergangenheit noch nicht ganz vorbei ist, und die Gouvernante merkt allmählich, wie sehr sie die Kinder schützen muss.

Sechste Szene – Die Schulstunde
Während einer Unterrichtsstunde stellt Miles seine Lateinkenntnisse zur Schau, während seine Schwester sich lieber auf Geschichte konzentrieren würde. Dann singt er ein rätselhaftes Lied, das die Gouvernante überrascht.

Siebte Szene – Der See
Flora spielt mit Puppen an einem See und sagt die Namen der Meere auf. Die Erwähnung des Toten Meeres erschreckt sie. Plötzlich fordert die Gouvernante Flora auf, mit ihr nach ihrem Bruder zu suchen. Gerade ist ihr die verstorbene Miss Jessel erschienen, und sie befürchtet, dass die beiden Kinder verloren sind, wenn sie unter die Fuchtel der ehemaligen Angestellten geraten.

Achte Szene – Die Nacht
Peter Quint scheint seinen Einfluss auf Miles ausüben zu wollen, während Miss Jessel ihre okkulten Kräfte auf Flora anwendet. Sie verzaubern die Kinder mit geheimnisvollen Mythen und traumhaften Ereignissen. Die Gouvernante will ihre Schützlinge mit Hilfe von Mrs. Grose aus dem Bannkreis der Toten befreien.

Zweiter Akt

Erste Szene – Zwie- und Selbstgespräch
Peter Quint und Miss Jessel streiten sich nach wie vor über ihren Einfluss auf die beiden Kinder. Eines ist sicher: Die Zeit der Unschuld ist vorbei. Das ist auch der Gouvernante bewusst, die sich fragt, was sie in ihrer Einsamkeit tun soll.

Zweite Szene – Die Glocken
Die Kinder singen eine Hymne an die Toten, die bedeutungsvoller zu sein scheint, als sie zunächst anmutet. Während Mrs. Grose die Schönheit des Tages preist, deutet die Gouvernante an, dass sie nicht mehr an die Unschuld der Kinder glaubt: Sie stehen wohl unter dem Einfluss der toten Bediensteten. Mrs. Grose meint, die einzige Lösung wäre, einen Brief an den Vormund zu schicken. Aber es wurde vereinbart, dass man ihn nicht stören sollte. Während Miles von seinem Wunsch spricht, wieder unter seinen Mitmenschen zu sein, überlegt die Gouvernante, diesen Ort zu verlassen, der nichts mehr als Schrecken hervorruft.

Dritte Szene – Miss Jessel
Als die Gouvernante das Arbeitszimmer betritt, sieht sie Miss Jessel auf ihrem Platz. Um sich selbst zu verteidigen, will sie ihre Vorgängerin um eine Erklärung bitten. Unter diesen Umständen ist es für sie unmöglich, Bly zu verlassen. Einen Brief an den Vormund zu schicken scheint der einzige Ausweg zu sein.

Vierte Szene – Das Zimmer
Miles, der noch nicht ins Bett gegangen ist, singt wieder sein trauriges Lied. Er ist besorgt über das Leben, das sie alle zusammen führen. Die Gouvernante erzählt ihm von dem Brief, den sie an den Vormund geschrieben hat, auch weil sie immer noch nicht weiß, warum er von der Schule verwiesen wurde. Sie bietet Miles ihre Hilfe an, doch Peter Quint scheint immer mehr Kontrolle über das Kind zu erlangen.

Fünfte Szene – Quint
Miles hat den Brief in die Finger bekommen - wohl auf Quints Geheiß.

Sechste Szene – Das Klavier
Miles beeindruckt die Gouvernante und Mrs. Grose mit seinem hervorragenden Klavierspiel. Flora nutzt die Gelegenheit, um zu entwischen. Als die Gouvernante bemerkt, dass das Mädchen fehlt, beschließt sie, dass es besser ist, sich auf die Suche nach Flora zu machen und Miles in Ruhe zu lassen, da er bereits unter Quints Kontrolle steht.

Siebte Szene – Flora
Die beiden Frauen finden Flora. Für die Haushälterin ist es offensichtlich, dass sie Miss Jessel gefolgt ist. Allerdings sieht Frau Grose die frühere Kinderfrau nirgends, was zu einem Streit zwischen den beiden Erwachsenen führt. Flora nutzt den Streit und stürzt sich mit einer Hasstirade auf die Gouvernante, um ihrem Schutz zu entgehen. Die junge Frau ist gezwungen, ihr Versagen einzugestehen.

Achte Szene – Miles
Mrs. Grose hält es für ihre Pflicht, mit Flora abzureisen. Der Vormund weiß jedoch nichts von den Ereignissen in Bly, da Miles den Brief abgefangen hat. Die Gouvernante bleibt überzeugt, dass sie den Jungen vor geisterhaften Intrigen schützen und retten muss. Während Quint Miles zu drängen scheint, zu schweigen, besteht sie darauf, dass der Junge ihr die Wahrheit sagt. Wenn er Quint namentlich erwähnen kann, könnte das bedeuten, dass er frei von seinem Einfluss ist. Sie erreicht ihr Ziel, aber Miles stirbt in ihren Armen, gleich nachdem er Quints Namen ausgesprochen hat.

Dieser Artikel von Klaus Bertisch erscheint mit freundlicher Genehmigung von La Monnaie / De Munt.

Einblicke

Brittens Faszination Für Das Unausgesprochene

Heute, zu Beginn des 21. Jahrhunderts, ist es hinlänglich bekannt und auch weitestgehend akzeptiert, dass der englische Komponist Benjamin Britten (1913-1976) und der Tenor Peter Pears (1910-1986) in einer Beziehung lebten. Zu Zeiten der Entstehung und des ersten großen Erfolges von Brittens neunter Oper The Turn of the Screw war diese Tatsache keineswegs selbstverständlich und die Liebe zwischen beiden Künstlern musste im Verborgenen blühen. Vielleicht rührt aus der Tatsache, dass Britten seine Emotionen und Gefühle in der Öffentlichkeit ständig unterdrücken musste, die Ursache, dass er sich häufig Stoffen zuwandte, bei denen die Faszination vor allem aus dem sprach, was nicht gesagt oder gezeigt wurde.

Man erfährt in keiner der drei Opern Peter Grimes, Billy Budd oder The Turn of the Screw, den wirklichen Sachverhalt, der zur Katastrophe geführt hat. Sind die Geister der verstorbenen Bedienten Peter Quint und Miss Jessel in The Turn of the Screw der Gouvernante wirklich erschienen und haben negativen Einfluss auf die ihr anvertrauten Kinder ausgeübt? Wir wissen es nicht. Allerdings sind Benjamin Brittens Werke, kennt man einmal seine persönlichen Vorlieben, voll von nahezu unverhüllten Andeutungen. In The Turn of the Screw finden sich eine Vielzahl zumindest doppeldeutiger Textstellen. Allein die naiv daherkommende 6. Szene ‚The Lesson‘ beinhaltet mit zahlreichen lateinischen Ausdrücken ein ganzes Arsenal von harmlos erscheinenden Vokabeln, die bei genauer Betrachtung voller phallischer Symbolik stecken. In der gleichen Szene erklingt auch erstmals das geheimnisvolle und öfters wiederkehrende ‚Malo‘-Lied von Miles, das an sich schon mehrdeutig ist. Malo könnte als Eigenschaft gewertet werden (vom Lateinischen malus – böse, schlecht), oder ein harmloser Gesang über einen Baum sein: malum - der Apfel, Apfelbaum). Ein faszinierendes Lied, das vielschichtig und nicht erklärbar ist, und auch so bleiben sollte.

Die Doppelbödigkeit von The Turn of the Screw

Es geht also vor allem um das, was in der Handlung nicht gesagt oder gezeigt wird. Mit Peter Quint und Miss Jessel treten Figuren auf, die eigentlich schon verstorben sind. Sind es also Geister oder sind sie real? Für Andrea Breth, die Regisseurin von The Turn of the Screw, sind sie vor allem Figuren, die sie inszenieren muss, da sie auf der Bühne konkret in Erscheinung treten. Die Überlegung liegt nahe, dass Peter Quint und Miss Jessel der Phantasie der Gouvernante entsprungen sind, denn auch wenn sie vor allem zu Beginn des zweiten Aktes selbständig zu sprechen scheinen, während sie bei James niemals das Wort ergreifen, ist mit der Gouvernante die namenlose Hauptfigur stets anwesend und die Szene möglicherweise ein Produkt ihrer Einbildungskraft.   

Es war ein Geniestreich von Britten, seine Autorin Myfanwy Piper zu bitten, die Geister als singende Figuren auftreten zu lassen, sie mit Text auszustatten, der in der Vorlage von Henry James nicht vorhanden ist. Er löst sich damit von der Form der Vorlage (einer dreifachen Ich-Erzählung) und findet zu einer dramatischen Gestaltung. Dabei kann es allerdings kein Zufall sein, dass Britten gleich mehrere seiner Figuren dem gleichen Stimmtypus zuordnet, um die Verwirrung komplett zu machen. In vielen Passagen sind die Gesangslinien der Gouvernante austauschbar mit der von Miss Jessel oder sogar der ihr anvertrauten Flora. Dies gilt übrigens auch für die Rollen von Peter Quint und die des Prologes. Die Inszenierung von Andrea Breth macht hiervon mehrfach Gebrauch. Dies sind keine Korrekturen, sondern theatralische Mittel, die der Grundstimmung des Werkes entsprechen und diese sogar noch erhöhen. Der Prolog und Peter Quint werden in den unterschiedlichsten Inszenierungen häufig mit dem gleichen Sänger besetzt. (Britten hatte beide Rollen für Peter Pears komponiert.) Es handelte sich dabei eher um eine praktische Lösung, denn eine inhaltlich eindeutige Gleichsetzung der beiden Figuren ist undenkbar. Es handelt sich um völlig unterschiedliche Charaktere. Es wäre zu eindeutig, könnte man den einen mit dem anderen identifizieren. Das Spiel mit den gleichen Stimmtypen aber wird erhöht, wenn man manchmal gar nicht weiß oder merkt, wer da jetzt gerade was sagt oder singt. Mit der Frage, ob es der eine oder der andere ist, wird die Spannung verstärkt.

Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass es sich beim Prolog und der Gouvernante um Figuren ohne Namen handelt. Der Prolog (eine Zusammenfassung von zwei Erzählern bei Henry James) gibt die Handlung vor ohne selbst einzugreifen. Damit entspricht seine Namenlosigkeit auch seiner Funktion und seiner Neutralität im Zusammenhang mit der Geschichte. Bei der Gouvernante scheint es sich anders zu verhalten. An ihr spiegeln sich die anderen Figuren. Sie ist namenlos, weil ihr Schicksal allgemeingültig ist. Ihr Schicksal, ihre Einbildungskraft, ihre Phantasie gilt für alle einsamen, arbeitssuchenden, vernachlässigten Frauen jener Zeit. Wie sie heißt ist uninteressant.

In der ersten Szene des 2. Aktes zitiert die Librettistin Myfanwy Piper aus einem Gedicht von W. H. Auden mit dem „Titel The Second Coming“. Ein Gedicht, das Veränderung beschwört, und auf negative Art eine Zeitenwende ankündigt. Es ist vorbei mit der Jugendzeit, mit unschuldigen Kinderspielchen. Doch wird auch deutlich, dass man sich den andersartigen Kräften nicht entziehen kann. Eine neue Macht muss her, die dann das Sagen hat. Die Feier eines unschuldigen Bestehens ist vorbei! Und es sind gerade Miles und Flora, die sicher nicht mehr so unschuldig sind, wie man das gerne von Kindern hätte. Die lieben Kleinen sind in der Pubertät und haben ihre eigenen Spielchen, ihre eigene Meinung und auch ihren eigenen Willen. Sie erfüllen nicht die Erwartungen, die ihnen auferlegt sind und weil die junge und naive Gouvernante ihre eigenen Sehnsüchte selbst niemals ausleben konnte oder durfte, mussten Ersatzfiguren her, die das Böse verkörpern, was man eigentlich in Kindern nicht sehen will: Peter Quint und Miss Jessel als eine Art Katalysator für die Initiation zu einem neuen Bestehen. Das Gedicht von W.H. Auden mit seinen Bildern von Abgrund und Alptraum ist vielleicht das einzige Merkmal, von dem ausgehend sich ein Gedanke an den Tod entzünden könnte.

Der unschätzbare Wert des Zweifels

Allerdings geht es in der Oper und der Novelle nicht so sehr um den verderblichen Einfluss, den vielleicht zwei verstorbene Charaktere als Geister auf die Kinder eines nicht anwesenden Gutsherrn haben, sondern darum wie die Phantasie eines einzelnen so weit gehen kann, dass diese die Wirklichkeit beeinflussen kann oder sie soweit verändern kann, dass am Ende nur eine Trennung vom Objekt möglich ist. Der Tod eines Betroffenen verändert die Situation mit einem Schlag. In diesem Sinn funktioniert die Oper Brittens wie ein Film von Alfred Hitchcock, bei dem die Spannung bis ins Unendliche aufgebaut wird, um schließlich doch mit einem überraschenden und unerwarteten Ende aufzuwarten. Der plötzliche Tod von MiIes trifft den Zuschauer völlig unvorbereitet. Geister sind ein Produkt der Phantasie, das seine Auswirkungen auf einen Charakter haben kann. Doch es geht vor allem darum, diese Phantasie anzuregen und mit Überraschungen aufzuwarten, als darum, eindeutige Interpretationen zu liefern, die keinen Raum für eigenes Denken, Lesen oder Hören zustehen.

 So entfaltet sich eine Geschichte, die wesentlich weniger von einer wie immer gearteten Realität ausgeht oder beeinflusst wird, und für den heutigen Zuschauer schon gar nicht ein Viktorianisches Zeitalter evoziert, sondern ein die Phantasie beflügelndes Spektakel über Jugend und Alter, Leben und Tod, Beständigkeit und Neuaufbruch. Ein Stück, das mehr Fragen aufwirft, als Antworten gibt. Beim Lesen der Novelle von Henry James scheint es völlig normal, dass sich vor dem inneren Auge des Lesers Bilder auftun, die jeder für sich entwerfen kann oder bedenken muss. So aber sollte es auch beim Besuch dieser Oper sein, dass nämlich nicht ein vorgefertigtes Zeitalter Eindeutigkeiten liefert, um dann das Publikum mit vielleicht verstörenden Möglichkeiten zu konfrontieren.

In der Produktion von Andrea Breth mit Bühnenbild von Raimund Orfeo Voigt begegnen wir dann auch Bildern, die nicht real sind. Räume öffnen sich und geben den Blick frei auf Konstellationen, die aus dem Geist der Vorlage vorgegeben werden, ohne den Zuschauer oder Leser vom Anspruch an die eigene Phantasie zu befreien. Sich verschiebende Wände lassen Erwartetes wie auch Unerwartetes auftauchen, um es dann sogleich wieder zu verbergen, und entsprechen damit der Irritation der Geschichte. Hierin spiegelt sich vor allem auch die Grundtheorie vom Unausgesprochenen bei Britten. Dabei sind Phantasie und detailgenaues Lesen in den Händen von Regisseurin Andrea Breth kein Widerspruch. Der Raum folgt dem Gang der Gedanken, birgt Überraschungen und verschließt sich wieder vor ihnen. Neue Ideen bringen auch Hoffnung auf Veränderung. So kann Nichtwissen und Nichtsehen im Sinne des Systems des Komponisten nicht nur auf die dunklen Seiten der menschlichen Existenz verweisen, sondern in der Folge einer solchen Opernerfahrung auch das Bewusstsein schärfen für Andersartigkeit gegenüber dem Gewöhnlichen und Normativen. Wir müssen uns davor hüten, das zu verurteilen, was wir nicht wissen oder kennen. Auch das sagt uns dieses Stück.

Dieser Artikel von Klaus Bertisch erscheint mit freundlicher Genehmigung von La Monnaie / De Munt.