RING AWARD 25
RING AWARD 25

Die nächste Generation von Kreativteams

Wie Alchemist:innen in einem seltsamen Labor


Wettbewerbe wie der RING AWARD bieten jungen Kreativteams eine Plattform, sich mit ihren Ideen für eine moderne Opernwelt vorzustellen. 2025 traten im Semifinale des Wettbewerbs neun Teams mit ihren innovativen Inszenierungskonzepten von Monteverdis L’Orfeo an; drei davon landeten im Finale. In den Wochen vor den Abschlusspräsentationen sprach OperaVision mit einigen der jungen Talente aus dem Bereich Regie, Bühnen- und Kostümbild, die hier Einblicke in ihre Arbeit und ihre künstlerischen Visionen geben. Was treibt die Kreativen von morgen an – und was hat Oper mit einem Chemielabor zu tun?

Erste Schritte


Lange bevor eine Opernproduktion auf die Bühne kommt, üblicherweise schon Jahre im Voraus, beginnt das Kreativteam mit der Arbeit. Ob es sich dabei um eine Barockoper, einen Abend mit zwei Einaktern oder eine im Entstehen begriffene Neukomposition handelt: Das Kreativteam sammelt Gedanken und Ideen, legt einen thematischen Fokus, entwickelt ein Konzept und formen die Geschichte, die sie dem Publikum präsentieren wollen.

Maria Chagina ist eine der jungen Regisseur:innen und beschreibt ihren Beruf „in erster Linie als eine Organisatorin von Ideen, Raum und Menschen“, die in der Oper zur „Vermittlerin zwischen Musik und Interpretation wird: Sie bestimmt die Linse, durch die das Publikum das musikalische Werk erlebt.“ Vor ihrem musikalischen Hintergrund als Geigerin ist für sie der erste entscheidende Schritt der Regiearbeit, die Partitur, den biografischen und politischen Kontext sowie die literarischen Quellen des Werks zu studieren. Sobald ein Konzept entwickelt ist, fungiert die Regie als „Brücke zwischen der Konzeption und der praktischen Umsetzung einer Vision“, beschreibt der junge Regisseur Giorgio Pesenti. „Es ist ein wenig so, als würde man Geburtshilfe leisten: Man kümmert sich darum, eine Idee auf die Welt zu bringen und sie zum Leben zu erwecken. Die Arbeit der Regie besteht immer darin, andere durch den künstlerischen Prozess hindurch zu inspirieren, so dass sie die Sorgfalt und emotionale Offenheit aufrechterhalten, die notwendig sind, ein Projekt lebendig werden zu lassen.“

Während das Handwerkszeug für eine gute Regiearbeit in einer entsprechenden Ausbildung erlernt und entwickelt werden kann, ziehen viele der Nachwuchstalente entscheidende Impulse für ihre Karriere aus Erfahrungen, die sie zunächst abseits des Opernbetriebs gemacht haben. Finn Nachfolger lernte in der Schauspielausbildung, „wie unterschiedlich Regisseur:innen mit den Menschen auf der Bühne arbeiten, je nachdem, welche Erfahrungen sie selbst auf der Bühne gemacht haben. Meine Ausbildung ermöglicht es mir, eine gemeinsame Sprache mit meinen Darstellenden zu finden und die Schwierigkeiten zu verstehen, die bei Proben oder Aufführungen auftreten können.“ Durch Arbeitserfahrung mit Kolleg:innen hinter der Bühne hofft Finn, „dass dies dazu beitragen wird, besser mit allen an einer Produktion Beteiligten zu kommunizieren.“

Auch die Bühnen- und Kostümbildnerin Heike Hümpfner landete über einen Umweg im Musiktheater, was sie als große Bereicherung empfindet. Während ihres Architekturstudiums entdeckte sie, dass Gebäude erzählerische Qualitäten haben können: „Für mich war ein Gebäude nie nur ein Bauwerk, sondern eine Geschichte, die sich im Raum entfaltet und von der Umgebung und den Menschen, die sich darin bewegen, geprägt wird.“ Passend für Oper, wo Geschichten durch das Zusammenspiel von Musik, Libretto, Raum und Ausstattung lebendig werden. „Meine Architekturausbildung hat mich gelehrt, wie der Raum den menschlichen Körper beeinflussen und Emotionen wecken kann, wie Materialien, Proportionen und Licht eine Atmosphäre schaffen können, die sowohl auf physischer als auch auf psychologischer Ebene anspricht. Diese Sensibilität in die Oper einzubringen bedeutet, auf der Bühne eine Welt zu schaffen, die die Geschichte nicht nur illustriert, sondern verkörpert – und die das Bühnenbild zu einem aktiven Partner in der Erzählung werden lässt.“

Zusammenarbeit und Kommunikation


Eine enge Zusammenarbeit ist für viele der jungen Kreativen unerlässlich – sei es im Team, mit den Beteiligten auf und hinter der Bühne oder mit Instanzen außerhalb der Opernszene. Die Ausstatterin Anouk Hufschmid Hirschbühl betont: „Zusammenarbeit zwischen Regie und Ausstattung ist der Schlüssel! Man will doch, dass die Figuren im Raum und in ihren Kostümen, ihrer Kleidung leben. Ohne Figuren und die Geschichte ist das Bühnenbild nur ein Raum.“ Eine entscheidende Qualität, die die nächste Generation von Opernprofis ausmacht, findet auch Heike Hümpfner: „Wir leben in einer Zeit, in der Künstler:innen Traditionen mit neuen, vielfältigen Perspektiven vermischen. Die Stärke liegt darin, diese Verschmelzung anzunehmen – sei es durch die Einbeziehung neuer Technologien, die Erforschung interdisziplinärer Zusammenarbeit oder die Schaffung von in höherem Maße integrativen und relevanten Räumen, in denen sich die Oper weiterentwickeln kann. Die Offenheit für Risiken und Experimente wird diese Kunstform in aufregende neue Gefilde führen.“

Schließlich „muss man erkennen, wie sehr sich die Welt seit dem 17. Jahrhundert verändert hat“, sagt Maria Chagina. „Unsere Wahrnehmung von Zeit und Inhalten ist viel rasanter geworden – wir sind heute an kurze, schnell wechselnde Inhalte gewöhnt. Ich glaube, dass jede Begegnung zwischen der Oper und anderen, jüngeren Kunstformen wie Popkultur, Videoinstallationen, Straßenkunst und Performance von Vorteil ist, da sie einen Anknüpfungspunkt für ein jüngeres Publikum schafft.“ Und nicht nur für die jungen Leute, findet Anouk Hufschmid Hirschbühl, die überzeugt ist, dass die als einschüchternde und teure geltende Kunstform der Oper zugänglicher gemacht werden muss: „Sie muss ihre Türen mehr öffnen und mit lokalen Institutionen zusammenarbeiten; den Menschen zeigen, dass sie die Melodien, Arien und Geschichten aus der Oper kennen. Ich wünsche mir, dass die Oper farbenfroh bleibt, Inspiration schafft und ihre problematischen Themen und Fragen, die immer wieder auf der Bühne dargestellt werden, aufarbeitet. Ich wünsche mir, dass sie Neuland betritt und dass mit ihr auf musikalischer, visueller und wissenschaftlicher Ebene spielerisch umgegangen wird.“ Durch Zusammenarbeit könne diese Kunstform lebendig und jung gehalten werden.

Verantwortung und Nachhaltigkeit


Abgesehen von inspirierenden Inhalten, die in der Oper in verschiedenen Räumen verhandelt werden und die das Genre im 21. Jahrhundert verankern können, sehen die jungen Kreativen die Notwendigkeit, auf die Krisen unserer Zeit zu reagieren: „Als Künstlerin glaube ich, dass wir die Verantwortung haben, nicht nur Kunst mit Bedeutung zu schaffen, sondern auch die ökologischen Auswirkungen unserer Arbeit auf die Umwelt zu berücksichtigen“, beschreibt Heike Hümpfner, die bestrebt ist, umweltfreundliche Materialien zu verwenden, Abfall im Produktionsprozess zu reduzieren und Bühnenteile oder Kostüme wiederzuverwenden. Darin sieht sie aber eine Motivation: „Nachhaltigkeit bedeutet auch, die Kreativität innerhalb von Grenzen zu fördern – die Schönheit des Vorhandenen zu finden und einfallsreich zu sein, ohne die künstlerische Integrität zu opfern.“

Sich Gedanken über den ökologischen Fußabdruck von Produktionsprozessen zu machen gehört zweifelsohne zur Arbeit der neuen Generation dazu. Dazu gesellt sich die Notwendigkeit, über soziale, kulturelle und politische Nachhaltigkeit, Fragen der Diversität, Barrierefreiheit und den (menschlichen) Ressourcen zu reflektieren. Das Ausstattungsduo Giulia Bruschi und Riccardo Mainetti sagt: „Es reicht nicht aus, einfach nur nachhaltige Rohstoffe auszuwählen. Nachhaltigkeit erfordert eine Reihe von Entscheidungen, die von der Konzeption des Projekts bis zu seiner Premiere reichen und alle beteiligten Institutionen und Personen einbeziehen.“ Finn Nachfolger etwa sieht „Diversität als Schlüsselfaktor von Nachhaltigkeit, um Theater und unsere Geschichten am Leben zu erhalten. Das bedeutet auch, sich an verschiedene Bedürfnisse anzupassen und zu verstehen, dass Menschen eine Ressource sind, um die man sich kümmern muss.“

Nachhaltigkeit, so Giorgio Pesenti, müsse daher bereits an der Wurzel gepackt werden: „Ein Werk ist dann nachhaltig, wenn sein Zweck in der Gegenwart Bedeutung, Beziehungen und Wirkung erzeugen kann.“ Als aktiver Teil einer Kunstform, die immer noch weitgehend aus öffentlichen Mitteln finanziert wird, zieht der junge Regisseur klar Stellung: „Wir können uns Kunst um der Kunst willen nicht mehr leisten. Wir müssen dringend eine neue Ökologie der Kunst aufbauen – ein offenes Ökosystem, das über Selbstbezogenheit hinausreicht und sich wirklich mit der Zeit, in der wir leben, auseinandersetzt.“

„Die Oper, die oft als elitär wahrgenommen wird, hat jetzt die Möglichkeit, sich neu zu erfinden“, sagt Pesenti. „Sie kann eine kollektive Stimme, ein gemeinsames Ritual, eine politische Geste werden. Das Theater kann und muss sich zwischen institutionellen Räumen und der öffentlichen Sphäre, zwischen Profis und Bürger:innen bewegen und eine aktive Rolle bei der Gestaltung neuer sozialer Vorstellungen spielen.“ Und darin sieht auch Regisseurin Franciska Éry eine große Chance für das Schaffen der nächsten Generation: „Die größte Stärke der Oper in Bezug auf Nachhaltigkeit ist ihre Fähigkeit, in einem dunklen Raum lauter einander fremde Menschen zusammenzubringen, die dasselbe hören, ohne dass sie ein technisches Gerät in der Hand halten. Unsere Produktionen sollten für Werte eintreten, die diese Menschen dazu inspirieren, ebenfalls Schritte in Richtung Nachhaltigkeit zu unternehmen.“

Die Stärke der nächsten Generation


Trotz – oder vielleicht gerade wegen – vieler Herausforderungen blicken die jungen Kreativen hoffnungsvoll in die Zukunft. Franciska Éry fordert deshalb: „Lass aufstrebende Künstler:innen ihren Instinkten vertrauen. Erlaube ihnen, in ihrem Prozess und in der Umsetzung ihrer Vision ihre eigenen Welten zu erschaffen. Lass sie verrückte Sachen machen. Erlaube ihnen, Risiken einzugehen. Die Oper von morgen ist kollaborativ, sie lässt sich von anderen Genres und Medien inspirieren. Die Künstler:innen sollen neugierig sein und dürfen keine Angst haben, Fehler zu machen.“ Und manchmal mag das bedeuten, dass größer nicht unbedingt besser sein muss, merkt Maria Chagina an: „Ich bin immer ein Fan von einfachen Lösungen und kammermusikalischen Produktionen gewesen, bei denen das Theater fast aus dem Nichts entsteht. Man braucht nicht unbedingt ein großes Budget, um das Publikum auf einer emotionalen Ebene zu erreichen.“

Experimentierfreude, Neugier und Zusammenarbeit, Risikobereitschaft, Offenheit und Mut – gibt es für die Oper von morgen also ein Erfolgsrezept? „Wir sind wie Alchemist:innen in einem seltsamen Labor“, beschreiben die Ausstatter:innen Giulia Bruschi und Riccardo Mainetti ihre Profession, „umgeben von Kolben, seltsamen Flüssigkeiten, Rauch und Dampf. Unsere Zutaten stammen aus einem ebenso seltsamen Fundus: der Staub der Tradition, ein Theatertechniker mit 40 Jahren Berufserfahrung; zufällig gefundene Objekte oder andere, die über Monate hinweg ausgewählt und diskutiert wurden. Manche Materialien kommen in letzter Sekunde, andere haben bereits in einer Schublade im Kopf darauf gewartet, endlich Sinn zu ergeben. Unser Traum ist es, die perfekte Formel zu finden, um die Fiktion zum Leben zu erwecken.“

Was fast wie die Suche nach dem Stein der Weisen klingt, ist gleichzeitig der Antriebsmotor für die jungen Opernprofis, resümieren Bruschi und Mainetti: „Es ist eine ständige, anstrengende Suche nach diesem fragilen Gleichgewicht: Man weiß nie, wann oder warum es klappt; aber wenn es klappt, dann ist es jedes Opfer wert.“
 

Hannes Föst