

Die starken Frauen der Oper: Johanna von Orléans
Am 19. April 1909 versammelten sich über 30.000 Menschen im Petersdom in Rom, um der Heiligsprechung von Johanna von Orléans durch den Papst beizuwohnen. Beim Enthüllen ihrer Statue soll es so viele Pilger:innen „überkommen“ haben, dass sie „in frenetischen Jubel ausbrachen“, der erst beruhigt werden musste, damit die Zeremonie fortgesetzt werden konnte. So berichtet die New York Times. Wer verbirgt sich hinter der historischen Johanna, der berühmten Jungfrau von Orléans –wer war Jeanne d’Arc?
Anfang des 15. Jahrhunderts: Frankreich steckt mitten im Hundertjährigen Krieg, große Teile des Landes sind von englischen Truppen besetzt, im Westen herrscht der mit König Henry V. verbündete mächtige Herzog von Burgund. Als die Feinde des französischen Königs Karl VII. kurz davor stehen, das strategisch günstig gelegene Orléans einzunehmen, tritt im März 1429 ein einfaches Mädchen vor den König und mischt das Geschehen auf: Sie nennt sich Jeanne „la Pucelle“ (die Jungfrau) und habe – geleitet von den Stimmen der heiligen Katharina und Margareta und des Erzengels Michaels – den göttlichen Auftrag erhalten, Frankreich von den Engländern zu befreien.
Ohne jegliche Kampferfahrung wird Jeanne an der Spitze der französischen Truppen eingesetzt, denen tatsächlich nach der Befreiung von Orléans im Mai 1429 ein Sieg nach dem anderen gelingt. Für alle ist klar: Jeanne ist der Grund dafür. Bei einer geplanten Rückeroberung von Paris gerät Jeanne jedoch in burgundische Gefangenschaft, woraufhin sie an die Engländer ausgeliefert wird. Um Jeanne so schnell wie möglich aus dem Weg zu räumen, wird ein Inquisitionsprozess veranlasst: Eine Frau, die in Männerkleidung in den Kampf zieht, kann nur sündhaft sein! Jeanne wird schuldig gesprochen und am 30. Mai 1431 – im Alter von nur 19 Jahren – in Rouen als Ketzerin auf dem Scheiterhaufen verbrannt.

Zahlreiche Legenden ranken sich um Jeanne d’Arc, die seither in Frankreich als Nationalheilige verehrt wird und unzählige Würdigungen erfahren hat. Gelesen als religiöse Fanatikerin, tapfere Kriegerin oder emanzipierte Frau, die sich in einer von Männern dominierten Welt durchzusetzen vermochte: Diese schillernde Figur hat besonders seit dem 19. Jahrhundert immer wieder Komponist:innen zu musiktheatralischen Werken angeregt, darunter Tschaikowski, Rossini, Verdi und Honegger.
Verdis Giovanna d’Arco ist ein Werk, das mit großen Gesten und gewaltigen Chornummern die Historie monumental ausdeutet. Jeanne/Giovanna wird darin besonders in ihrer Rolle als spirituelle Führerin gezeichnet. Schon der erste Auftritt Giovannas wird von einem außerweltlichen Chor von bösen Geistern und Engeln begleitet – die sie zu schwingender Harfenmusik auf ihre göttliche Mission vorbereiten. Auch im weiteren Verlauf ist Giovanna kaum als aufbrausende Kriegerin zu erleben. Vielmehr wirkt sie inmitten des lärmenden Geschehens um sie herum wie ein Ruhepol, eine sanfte Stimme der Räson in turbulenten Zeiten, deren Musik von großer Kantabilität gezeichnet ist: Von ihrem reich ausgezierten Andante des Gebets im Prolog, über die anmutige Pastorale „O fatidica foresta“ bis hin zu ihrem ausgedehnten Cantabile über eine weitgehend sparsame Instrumentalbegleitung im Finale des 2. Akts, in dem die Verletzlichkeit dieser Protagonistin deutlich wird.
Sicher lässt sich diese kompositorische Behandlung auch praktisch begründen: Verdi schrieb seine Giovanna nämlich für Erminia Frezzolini, die die Titelrolle in der Premiere 1845 übernahm. Zeitgenössischen Quellen zufolge besaß die Sopranistin eine zarte Stimme mit „himmlischer Süße“ – also eine Stimme, die nicht mit der kämpferischen Natur Jeanne d’Arcs einherging. Möglich, dass aus ebendiesen musikalischen Gründen Verdis Giovanna eine eher passive Figur neben den übrigen Männerrollen bleibt – was wiederum spannende moderne Inszenierungsansätze verspricht!
Eine zeitgenössische Auseinandersetzung mit Jeanne d’Arc lieferte die Polnische Nationaloper mit ihrer ortsspezifischen und genreübergreifenden Produktion D’ARC – ein Auftragswerk für das Museum des Warschauer Aufstands –, die ebenfalls auf OperaVision übertragen wurde. Fast zwei Jahrhunderte nach Verdi wird hier die mutige Kämpferin Jeanne d’Arc in den Fokus gerückt, die an der Seite von Heldinnen der jüngeren Geschichte zu einem emanzipatorischen Vorbild wird.
Hannes Föst