Wagner und sein Ring
Wagners Ring des Nibelungen ist und bleibt die ehrgeizigste und eindrucksvollste Errungenschaft der Operngeschichte.
Der Komponist brauchte 25 Jahre, um den Ring zum Leben zu erwecken und ließ das Bayreuther Festspielhaus errichten, um es aufzuführen.
„Anstatt mir eine Phase in der Entwicklung der Welt vorzustellen, hatte ich mir die Essenz der Welt selbst vorgestellt und ihre Leere erkannt.”
Wagners Vorbild waren die dreiteiligen Festspieldramen aus dem antiken Griechenland, die die gesamte Allgemeinheit für eine Schockerfahrung und deren Auflösung zusammenbrachten. Die Struktur des Rings folgt jener der Oresteia von Aischylos. Die Geschichte des Rings ist von nordischer Mythologie abgeleitet, aber deren Behandlung gehört zur sozialen Revolution und zur Philosophie des mittleren 19. Jahrhunderts.
Wie konnte ein weitestgehend autodidaktisch gebildeter Musiker dazu kommen, eine so ausgefeilte fünfzehnstündige Oper zu komponieren?
Richard Wagner wurde 1813 in Leipzig geboren. Er kannte seinen Vater nicht. Seine musikalischen Studien waren nur wenig diszipliniert. Er erlernte sein Handwerk als Komponist, indem er andere kopierte. Seine erste Oper Die Feen (1833/34) hatte er den romantischen Stilen von von Weber und Marschner zu verdanken. In seiner zweiten, Das Liebesverbot (1834/36), lose Shakespeares Werk Maß für Maß nachempfunden, das er von Wien nach Palermo verpflanzt hatte, klingt der Sizilianer Bellini nach. Seine große Oper Rienzi, der letzte der Tribunen (1838/40) adaptiert Meyerbeers Modell, der zu seinem Erzrivalen werden sollte.
Keine dieser Opern konnte sich jedoch im Repertoire etablieren. Um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, arbeitete Wagner als Musikdirektor in provinziellen Theatern, nämlich in Magdeburg, Königsberg und Riga. Er heiratete die Schauspielerin Minna Planer, aber er war rastlos und verstrickte sich in Schulden. Um letzteren zu entkommen, floh er aus Riga. Auf der Seereise nach England geriet sein Schiff vor der norwegischen Küste in einen Sturm, was die Inspiration zu seiner ersten wirklich eigenen Oper lieferte.
Wie die meisten von Wagners folgenden Werken hat Der fliegende Holländer (1841/43) einen autobiographischen Aspekt. Sein Held ist ein Außenseiter, dazu verflucht, zur See zu fahren, bis ihn das Opfer einer Frau erlöst. Seine Urkraft wird dadurch noch verstärkt, dass er dazu angelegt ist, ohne Unterbrechung in 2 ¼ Stunden gespielt zu werden.
Tannhäuser (1843/45) kehrte wieder zur dreiaktigen Form zurück, die Wagner für den Rest seines Lebens benutzen sollte. Sein Held ist hin- und hergerissen zwischen seiner Besessenheit von der erotischen Welt des Venusberges und der reinen, opfernden Liebe von Elisabeth am mittelalterlichen Hofe der Wartburg.
Lohengrin kommt aus einer anderen mythischen Welt, ein Fremder, der aufgenommen witrd, um politische Konflikte zu lösen, aber dessen Weigerung, seine Identität offenzulegen, zu seinem Sturz führt. Zur Zeit seiner Premiere 1850 war Wagner im Exil als politischer Flüchtling nach seinem Einsatz für den fehlgeschlagenen Dresdner Aufstand von 1848.
Der lange Prozess für den Ring hatte begonnen. Wagner fing an, den Text zu Siegfrieds Tod zu schreiben und arbeitete sich rückwärts zum Beginn der Welt vor. Seine Erfahrungen mit der radikalen Politik und seinem ehrgeizigen Lesen von kleineren Geschichten und philosophische Bücher glich er durch das Kreieren einer neuen Musiksprache aus. Diese beinhaltete die Modulation von Leitmotiven und eine Struktur von ineinander verwobener harmonischen Wechsel, um eine „endlose Melodie” zu kreieren.
„Komposition ist die Kunst des Übergangs.”
Das Rheingold ist der „Vorabend” des Zyklus und Die Walküre „der erste Tag”. Beide wurden am Münchner Hoftheater uraufgeführt, unter der Förderung des damals noch jungen Königs Ludwig II. Aber Wagner verlangte nach einem neuen Theater, um den Zyklus mit Siegfried und der Götterdämmerung zu vollenden (zu der Siegfrieds Tod schließlich geworden war). Es war einem griechischen Amphitheater nachempfunden, mit als Schutz gegen die Elemente hinzugefügten Wänden und einem Dach und einem unsichtbaren, abgedeckten Orchestergraben.
Wagner wollte, dass die Karten für die Eröffnungsfestspiele des Jahres 1876 für die Öffentlichkeit kostenlos sein sollten.
Der Nibelung aus dem Titel ist Alberich, Bewohner der unteren Erde, dessen Diebstahl des Goldes die Handlung in Gang setzt. Sein Gegenpart aus der oberen Welt ist Wotan, der Göttervater, dessen Regentschaft auf Pakte gegründet ist, die in den aus dem Holz der Ur-Esche gefertigten Speer eingeschnitzt sind. Als der Zyklus fortschreitet, wird ihre Macht von dem frisch gestärkten Menschengeschlecht übernommen, deren Liebschaften und Rivalitäten zu Konflikten führen, die die alte Ordnung zerstören.
Der Ring wird in 10 Episoden auf OperaVision (mit Opera North) von Ende Oktober bis Ende Dezember gezeigt. Diese werden bis weit in das Jahr 2018 hinein verfügbar sein.
Wagner unterbrach die Arbeit am Ring, als er Siegfried zu ungefähr zwei Dritteln beendet hatte, weil er seine musikalische Sprache noch einmal umformen und bereichern musste, bevor er den Zyklus vollenden konnte. Seine Therapie war es, zwei gegensätzliche Werke zu schreiben, die die Art revolutionierten, wie die Welt auf die Oper blicken würde.
Tristan und Isolde (1865) hat sich als die einflussreichste einzelne Partitur der ganzen Musikgeschichte herausgestellt. Die Oper drängt gegen die Grenzen der Tonalität und kündigt die Experimente des 20. Jahrhunderts an. Genauso überschreitet auch die Liebesgeschichte im Kern alle Konventionen bei der Erkundung unerlaubter Leidenschaften.
„Weil ich mich im Leben nie am wahren Glück der Liebe erfreut habe, werde ich diesem schönsten aller Träume ein Denkmal setzen, in dem vom Anfang bis zum Ende diese Liebe endlich einmal vollkommen erfüllt sein soll.”
Die Meistersinger von Nürnberg (1868) ist eine ortsspezifische Komödie, fast ein griechisches „Satyrenspiel” nach der Ring-Tetralogie. Sie endet mit einer Szene der gemeinschaftlichen Heilung, aber erst nach einer wüsten Straßenschlägerei und der „dunklen Nacht der Seele” ihres zentralen Charakters Hans Sachs, als er über den Wahnsinn der Menschheit nachdenkt.
Wenn Meistersinger die Philosophie des Rings vermenschlicht, so bietet Wagners letzte Oper Parsifal (1882) einen Nachfolger, der noch darüber hinausgeht. Sie stellt eine Gesellschaft dar, die dem Verfall anheim gefallen ist und die nur nach einem langen Kampf und barmherzigem Leiden neu geboren werden kann.
Das Genie von Wagners musikalischen Dramen, von denen der Ring die zentrale Aussage ist, ist, dass sie die Extreme menschlichen Verhaltens mit umfassen und es wagen, sowohl die zerstörerischsten als auch die richtungsweisendsten Elemente der Gesellschaft zu erforschen.