Sternenhoch
Ein reicher deutscher Fürst, der in einer lieblosen Ehe feststeckt, sucht verzweifelt, sich zu befreien. Doch was wie der Weg zur Erlösung erscheint, entpuppt sich als der Weg zur Hölle.
Die universelle Sprache der Musik wird mit dem internationalen Esperanto in diesem Operndebüt von Ivan Acher zusammengebracht. Der Zimmermann, Waldarbeiter, Designer und Komponist verwendet auf kluge weise elektroakustische Elemente in seiner zeitgenössischen Komposition, um dem expressionistischen Roman Die Leiden des Fürsten Sternenhoch von Ladislav Klima neues Leben einzuhauchen.
Besetzung
Sternenhoch | Sergey Kostov |
---|---|
Helga | Vanda Šípová |
Helga’s father | Luděk Vele |
Helga's lover | Jiří Hájek |
Kuhmist | Tereza Marečková |
... |
Musik | Ivan Acher |
---|---|
Dirigent | Petr Kofroň |
Inszenierung | Michal Dočekal |
Bühne | Marek Cpin |
Licht | Ondřej Kyncl |
Kostüme | Eva Jiřikovská |
Text | Ivan Acher |
Sounddesign | Eva Hamouzová |
Zither | Michal Müller |
Contrabasson | Lukáš Svoboda |
Violin, viola | Tereza Marečková |
... |
Video
Handlung
Prinz Sternenhoch schläft, sein Kopf ruht auf einem Tisch. In seinen Träumen hört er den Geist von Helga, die für ihn singt. Als er abrupt erwacht, befindet er sich auf einem Ball, umgeben von Gästen, die Walzer und satanische Mazurkas tanzen und wild von Fagotten und Zithern begleitet werden. Helgas Geist verwandelt sich in eine hässliche Kellnerin. Sternenhoch wirft ihr einen schrecklichen Witz zu und nutzt die Pointe benutzt, um um ihre Hand anzuhalten.
Sternenhoch und Helga betreten bei ihrem Hochzeitsfest mit ihren Gästen den Festsaal. Während sie ihrem Appetit gefräßig frönen, drängt sich Sternenhoch direkt auf dem Tisch auf seine Frau. Helgas ist sofort hochschwanger, sie kommt inmitten der Essensreste nieder.
In der Stille von Sternenhochs Schloss ermordet Helga ihr neugeborenes Baby. Am nächsten Tag, als ob nichts passiert wäre, geht sie freudig und lustvoll zu einem Treffen mit ihrer Geliebten. Der Dichter sperrt Helga jedoch in den Turm und lässt sie sterben.
Sternenhoch besucht die Hexe Kuhmist, die den halbverrückten Prinzen beraubt und ihn ins Delirium schickt. Er erlebt ein Kaleidoskop von Bildern, die von einem Tag in seinem Tagebuch stammen, darunter vier Morde und drei Auferstehungen. Sternenhochs Verstand schwindet vollständig, als er aus einer Flasche halluzinogenem Gebräu trinkt. Er kehrt zum Turm in seinem Schloss zurück, wo sein Traum vom Ball in Erfüllung geht. In Liebe mit der inzwischen verstorbenen Helga findet er endlich Frieden in der Vereinigung ihrer Körper und Seelen.
Einblicke
Falsch ist nur, was keinen Spaß macht
Ivan Achers neue Oper Sternenhoch mit einem Libretto in Esperanto basiert auf Ladislav Klímas unkonventionellem Roman Die Leiden des Fürsten Sternenhoch. Aber wer war eigentlich dieser Autor? Der Journalist Jiří Peňás beschäftigt sich mit Leben, Werk und Vermächtnis des legendären tschechischen Exzentrikers.
Das Leiden des Fürsten Sternenhoch wurde irgendwann zwischen 1907 und 1909 von Ladislav Klíma geschrieben. Der Autor selbst nannte es eine „groteskes Romanetto‟. Mit seinen rund dreißig Lebensjahren hatte er bereits seinen philosophischen Text Die Welt als Bewusstsein und Nichts veröffentlicht, der das Interesse einer Reihe seiner Kollegen weckte. Viele von ihnen behielten ihren Glauben an Klíma und unterstützten ihn in den Zeiten, in denen er keinen Pfennig besaß.
Zu diesem Zeitpunkt war er noch nicht der Klíma späterer Jahre - ein schäbiger, von Alkohol und Nikotin abhängiger, vagabundierender Mensch, der in einem armseligen Zimmer im Hotel Krása im Prager Stadtteil Vysočany lebte und seinen eigenen Körper im Rahmen seiner philosophischen Disziplin grausamen Experimenten unterzog. Er war noch nicht dieser Mensch geworden, aber was bereits offenbar war, war seine Radikalität und seine strikte Ablehnung dessen, was man als ein normales Leben bezeichnen könnte.
Als Anhänger von Schopenhauer und Nietzsche suchte und pflegte Klíma eine eigene Philosophie, die ihn an den Rand des Abgrunds und darüber hinaus führen sollte. Er sah sich als Philosoph in der altgriechischen Tradition, streifte unabhängig von seiner Umwelt durchs Leben und fasste seine persönliche Philosophie in einem einzigen großen Werk zusammen. Er verbrachte viel Zeit damit, Fiktion zu schreiben und glaubte vielleicht wirklich, dass er so seinen Lebensunterhalt bestreiten würde. Später sah er es als ein ziemlich peinliches Fehlurteil seinerseits.
Für den Rest seines Lebens verachtete Klíma die Berufsschriftstellerei und alle profanen Aktivitäten im Allgemeinen. Der Grund dafür dürfte sein, dass ihm das Schreiben immer leicht gefallen war. Kreative Arbeit war für ihn ganz natürlich, und er hätte alles in der Welt der Literatur erreichen können, wenn er es gewollt hätte. Er hatte kein Problem damit, Seiten um Seiten mit bunter Erzählung zu füllen, wie jeder, der sein umfangreichstes Werk, Großer Roman, gelesen hat, bestätigen kann. Doch für einen Mann mit seinen Ambitionen reichte das nicht aus. Für ihn war die Fiktion ein bloßes Medium zur Vermittlung philosophischer Ideen.
The non-conformist work of Ladislav Klíma has almost always shocked, has often incited scandal, but has hardly ever left us indifferent. One need not accept his view of the world to experience it and enjoy it in all of its ambiguity.
Als metaphysische Krimi-Geschichte ist Sternenhoch sowohl verrückt als auch zutiefst realistisch - wobei die Realität in einem Zerrspiegel betrachtet wird. Es erzählt die Geschichte des wahnsinnigen, verrückten und verdorbenen Prinzen Sternenhoch, der Helga verfällt, ein dämonisches Weib, die nach dem absoluten Willen in ihren sadistischen Neigungen strebt. Sie verachtet die ganze Welt, rächt sich an ihrem Vater und empfindet nichts als bitteren Hass für Sternenhoch. Sie zertrümmert den Schädel ihres Kleinkindes und unterwirft sich masochistisch ihrem Geliebten, welcher trotz seiner Macho-Haltung doch nur ein Nichtsnutz ist. In einem Anfall von Eifersucht ermordet Sternenhoch Helga, aber sie erscheint noch mehrfach als Wiedergängerin und in Halluzinationen, mit der der arme und unbeholfene Prinz hilflos kämpft. Am Ende erreicht er eine Art Erlösung, als sein Leiden und sein Wahnsinn ihn davon befreien, sich voller Angst ans Leben zu klammern. Er wird eins mit Helgas verwesender Leiche, indem er sein eigenes Leben wegwirft, das von vornherein völlig bedeutungslos war.
Klíma versuchte mehrmals, sein Manuskript veröffentlichen zu lassen, was ihm nicht gelang. Erst 1928, kurze Zeit nach dem Tod des Autors, kam Sternenhoch in den Druck. Die Arbeit erregte wenig oder gar keine Aufmerksamkeit. Vielleicht war der Zeitpunkt ungünstig: Der literarische Kanon war vom Modernismus und Funktionalismus geprägt - genau das Gegenteil von der bizarren Romantik des Romans. Zwar hatte Klíma seine Bewunderer, darunter F. X. Šalda und Karel Čapek, die ihm einen höflichen Nachruf stellten, aber die Kritiker wussten nicht, wie man seinen prosaischen Stil interpretieren sollte.
In den fünfziger und sechziger Jahren wurde Sternenhochs Existenzialismus, seine absurde Natur und sein einzigartiger schwarzer Humor wiederentdeckt und zu einem geschätzten Teil des Schematismus der Zeit. Sein Autor wurde ein Liebling alternativer Intellektueller, geliebt von Bohumil Hrabal und einflussreich für Schriftsteller wie Egon Bondy. Klíma wurde zu einer Art Idol für den Underground, wo er als Vorläufer der Hippie-Gegenkultur der selbstzerstörerischen Alkoholiker galt, die die Mainstream-Gesellschaft zutiefst zynisch bewerteten.
Für diejenigen, die sie lesen, werden Klímas Werke oft zu einer Leidenschaft, einer Sucht und einem obsessiven Rätsel. Dieser radikalste der böhmischen Philosophen, dieser „Denker des Undenkbaren‟, eröffnet unzählige Interpretationsmöglichkeiten, von denen einer die Welt als Ball darstellt, mit dem in einem Spiel ohne Regeln von überheblichen ewigen Jünglings-Schöpfern umhergesprungen wird. Ein solches Spiel ist Teil der Ekstase, die auf die Welt scheint: Eine Handbewegung, um die Welt zu erschaffen, die andere, um sie zu zerstören, und alles wird von nichts anderem regiert als dem freien Willen des Schöpfers.
In diesem Prozess der Schöpfung wird eine metaphysische Vision zu einer künstlerischen. Theater ist eine der Formen, die er annehmen kann - aber als exzentrischere Schwester des Theaters ist die Oper noch passender. Es ist unmöglich, für Klíma zu sprechen, aber es wäre sehr überraschend, wenn er Ivan Achers Sternenhoch und vor allem die philosophische Leidenschaft von Vanda Šípovás Helga nicht zu schätzen wüsste. Es ist genau so, wie Klíma selbst geschrieben hat: „Es ist alles wahr, was interessant und tiefgründig begriffen wird. Falsch ist nur, was keinen Spaß macht. Das ist eine psychologische Wahrheit, die Wahrheit aller Lebewesen.‟ Und Achers Oper macht definitiv Spaß, überzeugen Sie sich selbst.
Dieser Artikel erschien erstmals im Juni 2019 in der Zeitschrift Opera Nova des Nationaltheaters Prag.