Die Entführung aus dem Serail – Eine deutsche Oper alla turca
Mozarts erste ernste deutsche Oper ist eigentlich eine türkische. Die Entführung aus dem Serail ist eine heikle Angelegenheit, wenn man sieht, wie sie sich den Osten durch das Prisma der westlichen Empfindungen vorstellt. Wie soll zum Beispiel der osmanische Hof dargestellt werden? Wie sein Herrscher, Pascha Selim? Die Darstellung des gefühllosen Aufsehers Osmin ist besonders schwierig, wenn man das essentialisierende Stereotyp des türkischen Despotismus vermeiden will. Die paradoxerweise progressive Lösung des Regisseurs David McVicar besteht darin, die Handlung in ihre eigene Zeit zu setzen und den Vorgaben der Partitur und des Librettos gerecht zu werden. Ihre eigene Zeit ist damit natürlich das 18. Jahrhundert.
Die Oper wurde am 16. Juli 1782 am Wiener Burgtheater unter der Leitung des Komponisten uraufgeführt. Sie wurde von Kaiser Joseph II. in Auftrag gegeben, der ein nationales Singspiel als Gegenstück zur italienisch geprägten Hofoper schaffen wollte. Sie gilt als eine der ersten originellen Opern in deutscher Sprache. Sie war sofort ein großer Erfolg: Die Entführung aus dem Serail etablierte Mozart, der ein Jahr zuvor aus Salzburg weggezogen war, in Wien.
Mozart setzt durch die Verwendung dessen, was man als türkische Musik verstand, weitere Akzente. In der Ouvertüre und in mehreren Arien klingen orientalische Themen an, wie man sie sich damals wahrscheinlich vorstellte.
Das Werk ist vom westlichen Orientalismus des 18. Jahrhunderts durchdrungen, der durch Vicki Mortimers ausgeklügelte Bühnenbilder in makelloser Detailtreue evoziert wird. Sie beschwören den Palast, seine Gärten und die Atmosphäre des Harems herauf und fangen die Verlockungen des Osmanischen Reiches ein. Mozart setzt durch die Verwendung dessen, was man als türkische Musik verstand, weitere Akzente. In der Ouvertüre und in mehreren Arien klingen orientalische Themen an, wie man sie sich damals wahrscheinlich vorstellte. Die Ergänzung des Orchesters der Wiener Klassik durch Instrumente wie Becken, Große Trommel oder "Türkische Trommel", Piccoloflöte und Triangel entspricht den Instrumenten der Janitscharenmusik.
Die Verwendung dieser türkischen musikalischen Elemente zur Darstellung von Osmins Zorn ist beispielsweise die Kurzform für die Identifizierung von Osmin als "Anderer". Aufklärerische Opernbesucher würden ihm gegenüber leicht einen Hauch von Überlegenheit empfinden. Die Art und Weise, wie Osmin sich an der Idee der Folter ergötzt, steht in krassem Gegensatz zu den neu entdeckten Werten der Vernunft, die damals aufkamen - Kaiser Joseph II. hatte 1781 gerade Folter und Todesstrafe verboten. Osmin entspricht dem Stereotyp des orientalischen Mannes: brutal und unzüchtig. Seine Versuche, Blonde zu zwingen, ihn zu lieben, gehen nach hinten los, indem sie ihn lächerlich macht.
Die Darstellung von Pascha Selim hingegen kratzt an dem vereinfachten Bild des barbarischen Türken. Obwohl er einen Harem und Sklaven besitzt und damit die Kriterien für das Klischee des östlichen Despoten erfüllt, ist seine Charakterisierung nuanciert. Als Sprecher hebt sich Selim von den anderen Rollen ab. Ist die Musik außerhalb seiner Reichweite? Oder ist er umso edler, weil er nicht singt? Als sich der Pascha in Konstanze verliebt, die seine Avancen ablehnt, droht er ihr zunächst. Konfrontiert mit ihrer Beständigkeit, versucht er, ihr Herz mittles - westlicher? - Vernunft zu gewinnen. Es ist kein Zufall, dass die weibliche Protagonistin den Namen von Mozarts späterer Frau Konstanze trägt. Selims gewalttätige Tendenzen lassen im Kontakt mit einer westlichen Frau nach. Er verspricht, sie allein zu lieben, und verzichtet auf seinen Harem. Als er schließlich verraten wird, verzichtet er selbstlos auf die Ausübung seiner Macht und lässt die Westler frei. Als wir im letzten Akt erfahren, dass der türkische Herrscher in Wirklichkeit ein Abtrünniger ist, der durch die Intrigen von Belmontes Vater seiner westlichen Existenz beraubt und in sein osmanisches Exil gezwungen wurde, ist der klare Gegensatz zwischen Ost und West unwiderruflich gebrochen.
Trotz des Anscheins kann keine einfache Gegensätzlichkeit zwischen Ost und West in der Darstellung der Liebe in Die Entführung aus dem Serail gefunden werden. Als Belmonte und Pedrillo ihre Liebsten treffen, bevor sie wieder gefangen genommen werden, fragen sie sie, ob sie treu waren, im Bewusstsein, dass sie dem orientalischen Charme erlegen sein könnten. Dieser Tropus des sexuell ansprechenden Mannes aus dem Osten erscheint auch in Così fan tutte. Ferrando und Guglielmo, als Albaner verkleidet, stellen sich ihren Verlobten vor und stellen in ihrer Verzweiflung fest, dass die Frauen faszinierter sind, als sie es sich erhofft hatten.
Was war der Reiz einer solchen Exotik in der Oper? Und wie rechtfertigt man, dass sie auch heute noch inszeniert wird? Die Wahl eines orientalischen Themas mag damals nicht zuletzt auf die Beliebtheit der "türkischen" Musik in Wien zurückzuführen gewesen sein, und nicht alle Gründe sind verwerflich. Der östliche Kontext kann, selbst wenn er bestimmte Rollen und Beziehungen zu Stereotypen reduziert, gleichzeitig als Täuschung verstanden werden, um menschliches Verhalten zu verallgemeinern, ja sogar zu mythologisieren. Obwohl Osmin zweifellos eine erniedrigende Darstellung eines orientalischen Mannes ist, teilt er als Comic-Figur dennoch Züge mit Ihrem durchschnittlichen westlichen Possenreißer. Erstaunlicher ist die Tatsache, dass Pascha Selim als Inbegriff idealen menschlichen Verhaltens gelesen werden kann. Vielleicht macht ihn seine Grenzposition zwischen Ost und West, die sich jeder Einordnung entzieht, zu einer seltenen universellen Figur.