Der Schmeid
Der Schmeid

Die kaleidoskopische Welt von Der Schmied von Gent

Nach seinem ersten Durchbruch mit Der Ferne Klang 1909 stand Franz Schrekers erfolgreiche Opernkarriere vor seinen Augen kurz vor dem Abgrund. Die Uraufführung von Der Schmied von Gent am 29. Oktober 1932 in Berlin wurde durch rechte Zwischenrufer gestört. Innerhalb weniger Jahre wurde der österreichisch-jüdische Komponist nicht mehr als die Zukunft der deutschen Oper gefeiert, sein entartetes Werk wurde verboten und er verlor seine angesehenen Lehraufträge. Er starb am 21. März 1934, zwei Tage vor seinem 56. Geburtstag, in Berlin.  Nachdem er weitgehend vergessen war, wurde Der Schmied von Gent 1981 in einer Inszenierung der Berliner Staatsoper wiederentdeckt. Die überbordende Inszenierung des Opera Ballet Vlaanderen, die im Februar 2020 präsentiert wurde, ist lediglich die 4. Aufführung der Oper in unserer Zeit.

Es liegt eine reizvolle Symmetrie in der Tatsache, dass die Oper in die Stadt angekommen ist, in der die Geschichte ihren Ursprung hat. Schreker hat das Libretto selbst geschrieben. Nach der Erzählung des belgischen Schriftstellers Charles De Coster spielt die Handlung im 16. Jahrhundert, während der spanischen Herrschaft über Flandern. Schreker transformierte das Märchen von Smidje Smee und zeigte die Gerissenheit des einflussreichen Schmiedes Smee, der im Umgang mit der Besatzungsmacht seine patriotische, freiheitsliebende Art nie verleugnet hat. Schreker wollte mit Der Schmied von Gent eine Volksoper neuen Typs geschaffen haben und bezeichnete sie brüghelianisch. Und in der Tat unterscheidet sie sich von seinen früheren Werken, die unerbittlich die Abgründe der Psyche seiner Protagonisten kartographierten. Hier taucht er lieber in eine Märchenwelt ein. Auch musikalisch veränderte Schreker sich kurz vor Toresschluss, wobei er sich von seinen früheren postromantischen Tendenzen entfernte und eine Vielzahl von Einflüssen aufnahm, die von der Neuen Sachlichkeit über die Zeitoper bis hin zu neobarocken Elementen reichten.

Das Enfant terrible der deuschen Theaterregie Ersan Mondtag bietet mit seinem Operndebüt eine anschauliche, schillernde Interpretation, in der Schrekers stilistische Vielseitigkeit auf halluzinatorische Bilder trifft. Doch lassen Sie sich nicht von der expressionistischen Skurrilität täuschen: die leuchtenden Kostüme, die Drehbühne mit der Darstellung des mittelalterlichen Gent auf der Vorderseite und einem kinderfressenden Dämon auf der Rückseite. Die Inszenierung scheut nicht die düsteren Themen, die die dunkelsten Stunden der belgischen Geschichte hervorheben. Mondtag erklärt: „Es gibt viele Möglichkeiten, die Geschichte von Smee zu sehen. Er schließt einen Pakt mit dem Teufel, was ihn in kurzer Zeit unermesslich reich macht. Dann will er den vereinbarten Preis nicht bezahlen. Diese Geschichte ist der Geschichte des Kolonialismus sehr ähnlich: Reichtum erwerben, indem man ein Land ausraubt, diesen Reichtum dann benutzt, um zum Beispiel einen riesigen Bahnhof zu bauen - wie es in Antwerpen geschah - und diese Transaktion danach nie zu begleichen‟.

Fast 240 Jahre trennen die 1648 geschlossenen Verträge des Westfälischen Friedens, die den Achtzigjährigen Krieg beendeten und schließlich die Unabhängigkeit der Niederlande anerkannten, und die Kongo-Konferenz von 1884, mit der König Leopold II. die Kaiserherrschaft erlangte. Und doch wirft die Inszenierung die Frage nach einem Zusammenhang zwischen diesen beiden historischen Ereignissen auf. „Ist es denkbar‟, spekuliert der Dramaturg Till Briegleb, „dass die Terrorisierung Flanderns während des Achtzigjährigen Krieges die Ursache für den fast achtzigjährigen Terror ist, den Belgien in Zentralafrika verübt hat?‟ Auch wenn eine Oper eine so komplexe Frage vielleicht nicht beantworten kann, nutzt Mondtag diese willkommene Gelegenheit, um auf die nachwirkenden kollektiven Traumata durch Gewalt und Repression hinzuweisen.

Mondtags Deutung von Der Schmied von Gent als einen Gründungsmythos über die Ausbeutung des Kongo durch Leopold II. ist eine Aufführung wie keine andere. In den ersten beiden Akten arbeitet er eng am Text: Obwohl die Handlung ahistorisch ist, ist sie weiterhin sichtbar in Flandern angesiedelt. Im 3. Akt verdichtet sich die Handlung jedoch. Subtile Anspielungen auf die afrikanische Kunst flammen plötzlich auf, und Smee kehrt als Geist Leopolds II. zurück. Nach seinem Tod wird er in die Hölle geschickt, die unheimlich an den Kongo erinnert. Wie die unerwartete Unterbrechung durch die Unabhängigkeitsrede von Patrice Lumumba bezeugt, ist der Kongo nun frei. Frei, ihm den Zugang zu verweigern, so dass Smee zurückgehen muss. Stattdessen wagt sich Smee-bzw-Leopold II an die Himmelspforte. Wieder abgelehnt, findet sich Smee in einem Museum wieder, in dem er einen Waffelstand betreibt. Er beichtet also seine Sünden und ihm wird Absolution erteilt, was einen ganz anderen Beigeschmack erhälte, wenn es sich nun um den Imitator des belgischen Königs handelt. Kann die Absolution so leicht erteilt und das Trauma so leicht überwunden werden?

Diese Vorstellung ist nicht mehr auf unserer Plattform verfügbar. Sie können aber weiterhin das Bonusmaterial der Produktion hier nutzen.