Die starken Frauen der Oper: Katerina Ismailowa
Eine dreifache Mörderin und Selbstmörderin als Titelheldin: Schostakowitschs Lady Macbeth von Mzensk bringt True Crime auf die Opernbühne. Dabei ist Katerina Ismailowa im Grunde eine Frau voller sexueller Energie und Lebenslust, die sich in einer kalten und harten Welt nach Liebe sehnt. Von keinem der Männer in ihrem Umfeld erfährt Katerina Respekt: Ihr einsilbiger Ehemann Sinowij ist besitzergreifend und unfähig, Katerina zu schwängern; ihr Schwiegervater Boris ist ein Haustyrann; die übrigen Männer behandeln Frauen wie Dreck und schrecken auch vor Vergewaltigung nicht zurück. Einzig der Arbeiter Sergeij schenkt Katerina echte Aufmerksamkeit, erfüllt ihr sexuelles Verlangen – und wird schließlich zu ihrem Komplizen.
Eine Verbrecherin ist Katerina in jedem Fall – aber eine, für deren Taten man durchaus Mitleid und Verständnis empfinden kann. Denn keiner der Morde ist von langer Hand detailliert geplant, sondern alles geschieht spontan, als direkte Folge einer Krisensituation: Der Schwiegervater wird mit einer frischen, vergifteten Pilzsuppe um die Ecke gebracht; der Ehemann wird bei seiner überraschenden Heimkehr zusammen mit ihrem Liebhaber getötet und (nicht besonders sorgfältig) im Keller versteckt; Sergeijs neue Flamme wird kurzerhand in den Fluss gestoßen. Das macht Katerina weniger zur kaltblütigen Mörderin als zur emotional nachvollziehbaren Figur und ihre Verbrechen zu Verzweiflungstaten.
Bemerkenswert ist, dass Katerina gar nicht versucht, ihre Schuld zu leugnen, als sie etwa mit dem Fund von Sinowijs Leiche konfrontiert wird. Indem sie sich ihres Fehlverhaltens bewusst ist und dieses ohne Umschweife zugibt, übernimmt Katerina Verantwortung für ihr eigenes Leben, wodurch sie eine enorme Charakterstärke beweist. Wer am Ende wirklich schuldig ist, lässt Schostakowitschs Oper offen. Doch für Katerina ist klar: Die brutalen Morde sind die einzige Möglichkeit, aus ihrem von psychischer und körperlicher Gewalt durchzogenen Umfeld auszubrechen.
Ihr Selbstmord wird dabei zum letzten Ausdruck ihrer Revolte – zumindest für die selbstbestimmte Katerina. Denn das wohl erschreckendste Moment, das die Tragik dieser Figur unterstreicht, ist, dass der Schock über ihren Sprung in den Fluss nur von kurzer Dauer ist. Niemanden scheint ihre Geschichte zu interessieren. Die Arbeiter in dieser trostlosen, herzlosen Welt machen weiter wie zuvor.
Hannes Föst