Photo of Ilaria Lanzino
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Moniuszko verstehen

Ein Interview mit Regisseurin Ilaria Lanzino

Es ist Ihr erstes Mal mit der polnischen Oper und gleich zu Beginn mit Moniuszko, dem Vater der polnischen Oper, wie er hier wirklich weithin bekannt ist. Spüren Sie also einen gewissen Druck im Umgang mit dieser Oper, von der man auch sagt, dass sie sich Ausländer:innen oft nicht erschließt, weil sie so sehr in den regionalen Gegebenheiten verankert ist?

Meine erste Annäherung an Moniuszko war, seine Biografie zu lesen. Das allererste, was ich gelesen habe, war das, was Sie jetzt sagen, dass er der Vater der polnischen Oper sein soll - was er allerdings nicht beabsichtigt hatte. Das war die damalige Wahrnehmung. Das Gespensterschloss hat er aber geschrieben, um die Nation zu trösten, wie er in einem Brief sagt. Wenn man sich die Themen anschaut, die er verwendet, war er immer an Menschen interessiert, die von der Gesellschaft ausgeschlossen wurden, was damals als Unterdrückung Polens durch ein fremdes Land interpretiert wurde. Er war eigentlich mehr an der Ausgrenzung von Menschen innerhalb der Gesellschaft interessiert. Vielleicht weil ich nicht hier geboren bin und nicht diesen Automatismus in Bezug auf Moniuszko habe, dass er der Nationalkomponist ist, konnte ich offener sein, was es mir leichter gemacht hat, zu erkennen, dass er ein sehr guter Komponist ist, der einfach zufällig zum Nationalkomponisten wurde. Nicht, weil er das von ganzem Herzen gewollt hat, sondern weil es das war, was Polen damals brauchte.

Mögen Sie die Charaktere im Gespensterschloss?

Ich liebe jeden einzelnen von ihnen und verzeihe ihnen auch einige Verhaltensweisen, die heute nicht mehr zu entschuldigen wären, da ich weiß, dass sie ein Produkt ihrer Zeit sind. Deshalb beginne ich den ersten Akt sehr traditionell, mit einer ebenfalls historischen Ästhetik. Denn gerade am Anfang gibt es eine Explosion von konservativen, militaristischen und männlich-chauvinistischen Werten. Und da ich die Figuren liebe, wollte ich sie nicht in einen zeitgenössischen Anzug stecken; denn wenn man sie alle zeitgenössisch macht, dann sind sie automatisch schreckliche Figuren - und wenn sie zeitgenössisch wären, dann gäbe es aus liberaler Sicht keine Möglichkeit, sie zu retten. Sie repräsentieren eine sehr konservative Denkweise, während das Gespensterschloss die Projektion der Ängste dieser konservativen Gemeinschaft darstellt.

Das ist wichtig - manche Leute sagen: Man muss sich daran erinnern, dass die Zeiten anders waren, dass eine bestimmte Art zu Denken einfach einmal Realität war.

Ja, natürlich. Ich bin dafür, ein Bewusstsein dafür zu haben, warum die Menschen damals so gedacht haben. Zum Beispiel, warum hat Moniuszko diese Oper geschrieben? Polen befand sich an einem neuen Tiefpunkt in seiner Geschichte der Demütigung. Man musste dieses Gefühl von Patriotismus und Gemeinschaft stärken. Wenn man auf der politischen Ebene die Gemeinschaft nicht spüren kann, weil es keine gibt, dann ist man angreifbar. Das ist es, was ich mit meiner Inszenierung ausdrücken möchte: Die Menschen radikalisieren ihre Werte, nachdem sie alles verloren haben, weshalb wir im ersten Akt an einem völlig zerstörten Ort spielen. Im Gespensterschloss gibt es überall Spuren von Wunden und Verlust, zum Beispiel wenn Cześnikowa sagt, dass es einen Mangel an Männern und zu viele Mädchen gibt, weil die Männer alle tot sind. Das ist der Geist, in dem das Stück entstanden ist.
Das Stück trägt eine sehr liberale Botschaft. Es beginnt mit „Nie ma niewiast w naszej chacie‟ („Kein Platz für Frauen in unserem Haus‟) und endet damit, dass Frauen zeigen, dass sie ausdauernd und stark sein können. Damals ging es darum, dass wir zumindest in unseren Häusern, in unseren Haushalten, stark sein müssen. Da wir so sehr von Menschen von außen bedrängt werden, sollten wir zusammenhalten. Es ist eine Geschichte der Deradikalisierung und Inklusion.

Die Leute hörten das, was sie hören wollten.

Ganz genau. Es gibt diesen patriotischen Teil in Moniuszko; es ist nur nicht alles, was es zu entdecken gibt. Er sagte zwar in einem Brief, dass er eine Oper zum Trost der Nation schreiben wollte, aber das ist nicht die Gesamtheit von Moniuszko. Ich interessiere mich mehr für Moniuszkos liberale Ideen im allgemeinen.

Vielleicht war das eine Art Augenzwinkern? Er hatte einen großen Sinn für Humor, das spürt man in seinen Briefen.

Das glaube ich nicht. Die Figur des Damazy ist ganz klar als Katalysator schlechter Tugenden geschaffen worden. Er ist das genaue Gegenteil von dem, was ein Pole sein sollte. Vielleicht war Moniuszko zynisch in seinem Verständnis für die Menschen. Er hat das Libretto nicht geschrieben, es ist auch gefährlich zu vergessen, dass dies nicht Moniuszkos Text ist, aber am Ende ist es seine Oper. Man sieht, diese Oper ist sich sehr bewusst, welche Werte sie verbreiten will. Bestimmte Werte sollen zweifellos gestärkt werden, die damals für die Gesellschaft sehr wichtig waren. Die Figur des Damazy ist alles, was ein polnischer Mensch nicht sein sollte: nicht männlich und mutig genug, und er trägt eine ausländische Tracht.

Und wie steht’s mit seiner Musik?

Oh, ich liebe sie. Es ist so schade, dass diese Musik außerhalb nicht viel bekannt ist. Aber es gibt keine englische Ausgabe. Also ist es Ihre Schuld (lacht). Ich musste eine Wort-für-Wort-Übersetzung mit einer Muttersprachlerin anfertigen. Das ist harte Arbeit und nicht jeder will das machen.

Lassen Sie mich auf die Frage zurückkommen, ob Sie sich unter Druck gesetzt fühlen, wenn Sie eine Oper inszenieren, die in Polen hoch angesehen ist. Vor allem, weil Sie sie neu interpretieren.

Nein. Wenn man weiß, was man tun will, kann einen nichts aufhalten. Und für mich gibt es jetzt nur einen Weg, sich der Botschaft vom Gespensterschloss zu nähern. Die Themen sind sehr klar. Es ist ein Geschlechterkonflikt und ein Generationenkonflikt. Wenn man diese Konflikte ignoriert, wird man scheitern. Man muss sie aufgreifen und weiterentwickeln. Ich denke über Damazy nach und sage, wie stehe ich zu dieser Figur? Denke ich, dass er ein Antagonist ist? Denke ich, dass er ein moderner Held ist? Denke ich, dass er wirklich in Hanna verliebt ist, denn im Text sagt er immer: Es ist mir egal, ob es Hanna ist, es ist mir egal, ob es Jadwiga ist, ich kann jede von ihnen heiraten.

Er legt sich nicht fest.

Genau. Also habe ich ihn in einen zeitgenössischen homosexuellen Helden verwandelt, denn all diese Eigenschaften sagen mir, dass er in diesem Stück von einer Gruppe von Menschen verspottet und schikaniert wird. Er ist eine unterdrückte Person unserer Zeit. Ich kann keinen Damazy machen, der ein Antagonist mit dieser Eigenschaft ist - weil ich nicht glauben kann, dass Menschen, die solche Eigenschaften haben, Antagonisten sein können.

Die Premiere wurde wegen der Pandemie verschoben. Ich bin sicher, dass Sie die Premiere gerne früher erlebt hätten, aber die globale Situation verstärkt irgendwie nur die Botschaft, die Sie präsentieren wollen.

Ganz genau! Wenn man Das Gespensterschloss jetzt inszeniert, ohne es neu zu interpretieren, verstärkt man eigentlich eine Art Ideologie, für die ich nicht stehen will. Aber ich folge den Vorgaben des Zeitgeistes. Der Geschlechterkonflikt ist hochaktuell. Hanna singt: Wir, polnische Frauen, können so stark sein, ihr habt keine Ahnung. Das ist wie ein Ruf nach Freiheit für Frauen, wie kann man das ignorieren? Der zentrale Satz lautet: „Kein Platz für Frauen in unserem Haus!‟. Warum sagen die Männer das? Weil sie die „lament żon‟ [„Klage der Frau‟] hassen. Weil die Frauen die ganze Zeit weinen, und die Männer wollen unserem Land dienen. Am Ende gewinnen die Frauen.
Das ist eine unglaubliche Botschaft, vor allem in der heutigen Zeit. Diese Frauen sind die stillen Heldinnen, denn wenn die Männer in den Krieg ziehen - bleiben die Frauen zu Hause und kümmern sich um das wirkliche Leben. Das knüpft an die ganze Diskussion über unbezahlte Arbeit an, all diese Arbeit, die irgendwie unsichtbar geschieht.

Haben Sie das Gefühl, dass es für Sie als Frau schwieriger ist, in der Oper zu arbeiten, besonders als Regisseurin?

Ich muss zugeben: nein. Ich würde gerne ja sagen, dass ich in meinem Leben viel kämpfen musste, aber das ist nicht wahr. Ich bin mir auch bewusst, dass es nicht viele Frauen in meinem Beruf gibt, aber ich hatte nie den Eindruck, dass die Leute mich aufgrund meines Geschlechts nicht respektieren.
Ich würde nicht sagen, dass ich dreimal so gut vorbereitet sein muss wie ein Mann. Ich konzentriere mich darauf, besser vorbereitet zu sein, nicht weil ich eine Frau bin, sondern weil ich denke, dass dies eine:n gute:n Regisseur:in ausmacht. Ich kann auch sofort erkennen, wenn ein Mann unvorbereitet ist. Also, ob Mann oder Frau, wenn man nicht vorbereitet und nicht wirklich engagiert ist und einfach kommt und es auf eine zynische Art und Weise macht, dann wird das Ergebnis schlecht sein.

Die Fragen stellte Piotr Tkacz.