Als Eugen Onegin in Tatjanas geordnetes Leben tritt, erscheint er ihr wie eine Figur aus ihren Romanen. Die junge, unerfahrene Frau verliebt sich Hals über Kopf in den weltgewandten Bonvivant. Doch er weist ihre Zuneigung zurück; sein rastloser Lebensstil ist für eine langfristige Beziehung nicht geeignet. Jahre später treffen sich die beiden wieder. Die reife Tatjana ist eine Vernunftehe mit dem viel älteren Fürsten Gremin eingegangen und zu einer wohlhabenden Frau geworden. Onegin ist schockiert, als er erkennt, dass Tatjana doch die Richtige für ihn gewesen wäre. Wie wird sie auf seine leidenschaftlichen Geständnisse reagieren...?
Kurz bevor er Die Jungfrau von Orleans komponierte, bearbeitete Tschaikowsky Ende der 1870er Jahre Puschkins Versroman Eugen Onegin. Die Geschichte einer unerwiderten Liebe erinnert an die Ereignisse im Leben des Komponisten. Im Mai 1877 hatte Tschaikowsky einen Brief von einer ihm unbekannten ehemaligen Studentin des Moskauer Konservatoriums, Antonina Miljukowa, erhalten, in dem sie behauptete, sie sei seit einigen Jahren heimlich in ihn verliebt gewesen. Tschaikowski scheint keine wirklichen Gefühle für Antonina empfunden zu haben, hatte aber ein tiefes Mitgefühl für den unerwiderten Liebhaber und suchte mit Tatjana nach einem musikalischen Ausdruck, der die innere Qual der Heldin mit höchster Sensibilität wiedergibt. Tatjanas Verwandlung von der tief ernsten Heranwachsenden ihrer großen Briefszene in die reife, aber verzweifelt unglückliche Frau, die den Mann, den sie liebt, schließlich verstößt, ist eine der großartigsten Darbietungen der Operngeschichte. Nach Macbeth inszeniert Regisseur Michael Thalheimer für die Deutsche Oper am Rhein eine Welt der unerfüllten Sehnsüchte in einer Gesellschaft, die ihrer selbst überdrüssig geworden ist.
BESETZUNG
Larina | Katarzyna Kuncio |
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Tatjana | Ekaterina Sannikova |
Olga | Ramona Zaharia |
Eugen Onegin | Bogdan Baciu |
Lenski | Ovidiu Purcel |
Fürst Gremin | Bogdan Taloș |
Filipjewna | Ulrike Helzel |
Saretzkij | Valentin Ruckebier |
Triquet | Sergej Khomov |
Vorsänger | Mamuka Manjgaladze |
Ein Hauptmann | Volker Philippi |
Chor | Choir of the Deutsche Oper am Rhein |
Orchester | Düsseldorfer Symphoniker |
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Musik | Pyotr Tchaikovsky |
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Text | Peter Ilyich Tchaikovsky Konstantin Shilovsky |
Musikalische Leitung | Vitali Alekseenok |
Regie | Michael Thalheimer |
Bühnenbild | Henrik Ahr |
Kostüme | Michaela Barth |
Chorleitung | Gerhard Michalski |
Licht | Stefan Bolliger |
Dramaturgie | Anna Grundmeier |
Konzeptionelle Vorbereitung | Bettina Auer |
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HANDLUNG
Akt I. Tatjana.
Auf dem Land hängen vier Frauen ihren Sehnsüchten und Erinnerungen nach. Während die Witwe Larina und die Kinderfrau Filipjewna nüchtern ihre enttäuschten Glückserwartungen bilanzieren, blicken die jungen Töchter des Hauses, Tatjana und Olga, voller Hoffnung in ihre Zukunft. Anders als die unbeschwerte Olga, deren Heirat mit ihrem Kindheitsfreund Vladimir Lenski beschlossene Sache scheint, träumt die verschlossene Tatjana von einer lebensverändernden romantischen Liebeserfahrung.
Als Lenski bei einem Besuch den weltgewandten Eugen Onegin mit auf das Gut der Larinas bringt, ist Tatjana sich sicher, in ihm den sehnlichst erwarteten Helden ihrer Romane zu erblicken. Alle Konventionen über Bord werfend, offenbart sie sich Onegin in einer emotionalen Liebeserklärung. Doch der weist die junge Frau kühl zurück: Sein rastloser Lebenswandel eigne sich nicht für eine dauerhafte Bindung. Nach einer kühlen Aufforderung, sich künftig mehr zusammenzunehmen, verlässt Onegin die am Boden zerstörte Tatjana.
Akt II. Lenski.
Larina veranstaltet ein Fest zu Ehren Tatjanas, zu dem Lenski erneut Onegin mitbringt. Zum allgemeinen Erstaunen tanzen Onegin und Tatjana miteinander, was bei der Festgesellschaft Gerede über eine bevorstehende Heirat der beiden schürt. Von den Gerüchten gereizt, provoziert Onegin seinen Freund Lenski, indem er dessen Verlobte Olga wiederholt zum Tanz auffordert. Verletzt kündigt Lenski Onegin daraufhin die Freundschaft und fordert diesen zum Duell, bei dem Lenski von Onegin erschossen wird.
Akt III. Onegin.
Jahre sind vergangen, in denen Onegin rastlos durch die Welt gereist ist. Auf einem Ball in St. Petersburg treffen er und Tatjana erneut aufeinander. Tatjana hat mittlerweile den hochdekorierten Fürst Gremin geheiratet und ist zu einer tonangebenden Größe der Petersburger Gesellschaft aufgestiegen. Erschüttert vom glanzvollen Anblick der Fürstin, gesteht Onegin Tatjana seine Liebe. Doch nun ist es Tatjana, die Onegin zurückweist: Auch wenn sie ihn immer noch liebe, habe sie sich für ein Leben an der Seite ihres Ehemannes entschieden. Onegin ist zu spät gekommen.
EINBLICKE
Wie eine Malerei mit sehr feinem Pinselstrich
Im Gespräch mit Dirigent Vitali Alekseenok
Peter Tschaikowsky hat Eugen Onegin bewusst mit der Genrebezeichnung „Lyrische Szenen“ versehen. Was meinte er damit, und wie macht sich dies in der Musik der Oper bemerkbar?
Ich möchte von einer anderen Seite beginnen: Über die Jungfrau von Orleans, die direkt nach Onegin entstand, hatte Tschaikowsky damals geschrieben, er wolle eine große Oper komponieren, aber ohne die üblichen Märsche, Chor-Tableaus, etc. Am Ende wurde seine Jungfrau jedoch genau das: ein mächtiges Werk mit vielen großformatigen Chören und einer massiven Klangwirkung. Onegin ist für mich das absolute Gegenteil davon. In den „Lyrischen Szenen“ gibt es eine fast kammermusikalische Intimität, sowohl in der handwerklichen Herangehensweise wie auch in der inhaltlichen Positionierung. Die Partitur wirkt wie eine Malerei mit sehr feinem Pinselstrich, alles ist sehr sensibel und detailreich gezeichnet. Zwar gibt es auch hier ein paar opulentere Tutti- Momente; diese dienen aber eher als Kontrast, damit das Kleine und Feine noch raffinierter zum Vorschein kommt. Von der ersten Sekunde an führt uns Tschaikowsky in diese lyrische Stimmung ein, wenn die Ersten Geigen die Oper mit Tatjanas Motiv eröffnen: einer kurzen, zerbrechlichen Phrase, die wie ein melancholisches Fragezeichen über der gesamten Oper zu schweben scheint. Es ist das Motiv der unerfüllten Liebe und Sehnsucht, unter der alle Figuren in Eugen Onegin leiden.
Peter Tschaikowsky war, wenngleich eine Generation jünger, ein Zeitgenosse von Giuseppe Verdi und Richard Wagner. Sind in seinen Opern Einflüsse der beiden Komponisten zu erkennen?
In Russland kam zu jener Zeit alles ein bisschen verspätet an, weil es nicht diesen unbedingten Fokus auf die westeuropäische Kultur gab. Tschaikowsky war jedoch ziemlich gut informiert. Er hatte eine Zeitlang als Musikkritiker gearbeitet und die musikalischen
Entwicklungen in Europa aufs Genaueste beobachtet. Dabei hatte er auch die ersten Bayreuther Festspiele als Journalist begleitet, war vom Ring jedoch eher wenig begeistert, da er mit Wagners monumentalem Kompositionsstil und seinen Ideen von Heldentum nichts anfangen konnte. Verdis Interesse am Menschen und seine eher lyrische Herangehensweise lagen ihm da schon näher, wie man an seiner Entscheidung für Alexander Puschkins Onegin merkt. Für Wagner wäre solch ein Stoff viel zu alltäglich gewesen!
Wo setzt Tschaikowsky eigene Akzente gegenüber Puschkins Romanvorlage?
Puschkins Onegin ist sicherlich vielschichtiger, ambivalenter als Tschaikowskys Vertonung.
Es gibt sehr viele unterschiedliche Ebenen darin: Da ist zum einen die Handlungsebene, dann der Kommentar durch einen fiktiven Autor, der aber nicht Puschkin ist, und darüber dann noch einmal Puschkins eigene Sicht auf die Dinge, die er immer wieder durchscheinen lässt. So können sich die Leserinnen und Leser ständig entscheiden: Habe ich Mitgefühl mit Tatjana, Lenski und co, oder der behalte ich die ironische Distanz der fiktiven Erzählerfigur?
Oder gibt es vielleicht noch eine dritte Perspektive, nämlich die von Alexander Puschkin? Solch eine komplexe Erzählstruktur ist in einem Opernlibretto natürlich nicht möglich, aber das war auch nicht das, was Tschaikowsky an Puschkins Roman interessiert hat, ebenso wenig wie die Satire. In Situationen, die Puschkin mit einem ironischen Lachen kommentiert, zeichnet Tschaikowsky die Bitterkeit, die inneren Tragödien dahinter; er leidet wirklich mit jeder einzelnen seiner Figuren mit. Das gibt der Musik eine Emotionalität, die mit rationalen Mitteln nicht zu beschreiben ist. Es ist eine Musik zum Fühlen, zum Mitempfinden und darin liegt der große Unterschied zu Alexander Puschkin.
Gibt es denn eine Figur in der Oper, mit der Tschaikowsky am stärksten mitempfindet?
Ganz eindeutig mit Tatjana! Alles beginnt und endet mit ihrer Musik, die ganze Partitur ist musikalisch durchdrungen von der Frage: „Was fühlt Tatjana in dieser oder jener Situation“? Sie ist eine empfindsame junge Frau, die das Gefühl hat, in der Provinz steckengeblieben zu sein, nicht wegzukommen. Also zieht sie sich in sich selbst zurück, und diese innere Welt macht Tschaikowsky mit großer Sensibilität für uns alle hör- und erlebbar. Dementsprechend emotional wird es, als sich Tatjana zum ersten Mal in ihrem Leben verliebt.
Im Gegensatz dazu wirkt Onegin musikalisch wie ein emotionaler Trittbrettfahrer. Obwohl wir ihm als einem intelligenten Mann mit perfekten Manieren begegnen, bleibt seine Musik merkwürdig nichtssagend, immer eine Spur daneben. Er lässt sich in lebendigen Situationen treiben, produziert jedoch wenig eigene Lebendigkeit – wenn es am Ende der Oper wirklich emotional wird, so ist das musikalisch Tatjana, nicht Onegin. Das Stärkste, was man von seinen eigenen Gefühlen mitbekommt, ist eine gewisse Bitterkeit.
Welche Rolle spielen die bäuerlichen Lieder und Tänze im ersten Akt der Oper?
Für Tschaikowsky hat diese volkstümliche Musik weniger eine inhaltliche als eine dramaturgische Funktion. Er benutzt sie als Kontrast zu der eleganten Petersburger Gesellschaft im zweiten Akt, aber – viel wichtiger – im ersten Akt auch als Kontrast zu den Erlebnissen und Gefühlen Tatjanas. Tatjana kommt ja wie ihre Schwester Olga auch eher aus der bäuerlichen Welt, hat sich aber durch ihre Bücher innerlich eine ganz andere, schillerndere Welt erschaffen. Diesem Kontrast hat Tschaikowsky gleich von Beginn der Oper einen großen Raum eingeräumt. Vielleicht schwingt da auch eine sozialkritische Note mit, aber mein Gefühl ist, dass es Tschaikowsky eher um das Innerliche als um Gesellschaftskritik ging.
Trotzdem scheinen entscheidende emotionale Entwicklungen der Figuren irgendwie im Dunkeln zu bleiben. Wie wird Tatjana vom introvertierten Mädchen vom Lande zur Frau eines Petersburger Fürsten?
Wir erfahren es nicht! Die entscheidenden Momente der Oper passieren nicht in der Musik, sondern in der Stille, in der Pause zwischen dem zweiten und dritten Akt. Ich hatte in meiner Jugend eine Phase, in der ich etwa zwei Wochen lang jeden Tag Onegin gehört habe, ich war süchtig nach dieser Musik. Irgendwann habe ich dann aber gemerkt, dass man nach dem Duell zwischen Lenski und Onegin eine Pause braucht, um wirklich realisieren zu können, was da eigentlich gerade passiert ist.
Wenn man sich den Onegin zu Hause anhört, sollte man mehrere Stunden Pause zwischen dem zweiten und dritten Akt einlegen, vielleicht sogar einen ganzen Tag. Nur wenn man dazwischen selbst etwas erlebt, kriegt man auch die Veränderung mit, die zwischen den beiden Akten passiert. In der ursprünglichen Fassung hatte Tschaikowsky noch 28 Takte für den Chor komponiert, in denen man noch etwas Zeit hat, sich auf die „neue“, reiche Tatjana vorzubereiten. Die hat er dann aber später selbst aus der Partitur gestrichen, so kommt ihr Auftritt als Fürstin Gremina nicht nur für Onegin, sondern auch für uns Zuschauerinnen und Zuschauer total unerwartet.
Tschaikowsky war es wichtig, die Oper an einem Konservatorium uraufführen zu lassen – warum?
Eugen Onegin ist eine Oper, die im osteuropäischen Raum besonders von jungen Menschen geliebt wird, weil sie all die intensiven Gefühle beschreibt, die man in dieser Phase seines Lebens zum ersten Mal durchlebt. Deshalb wollte Tschaikowsky gezielt mit jungen Menschen arbeiten, auch wenn es gar nicht so einfach war, Leute zu finden, die den stimmlichen Anforderungen der Partien gewachsen waren. Er wollte, dass sich seine Sängerinnen und Sänger noch selbst daran erinnern können, wie es ist, zum ersten Mal Liebe und Liebeskummer zu erfahren. Sie sollten ihre Rollen nicht spielen, sondern erleben, alles sollte möglichst natürlich sein und direkt zum Publikum sprechen. Auch das trägt zum intimen Charakter von Eugen Onegin bei.