Eine Frau, die in einer unglücklichen Ehe gefangen ist, beklagt die Verwüstung des Waldes um sie herum. Eine unerwartete Affäre löst eine explosive Metamorphose aus, und sie findet die perfekte Befreiung als Baum. Aber die Welt ist ein gefährlicher Ort für Bäume, und tief im Wald erheben ein Student und ein Förster Anspruch auf einen Körper aus Holz und Blättern - der eine für Geld, der andere für Liebe.
Like flesh, eine Umdeutung von Ovids Metamorphosen, ist das Ergebnis der Zusammenarbeit zwischen einer Gruppe engagierter junger Künstler:innen. Der israelische Komponist Sivan Eldar schafft eine faszinierende Klangwelt, in welcher er orchestrale und elektroakustische Musik kombiniert. Die britische Dramatikerin Cordelia Lynn ist in englischen Theaterkreisen u. a. durch ihre Zusammenarbeit mit Katie Mitchell bei der Neuinszenierung von The Tempest bekannt. Mit der italienischen Regisseurin und Bühnenbildnerin Silvia Costa bietet sie ein Werk, welches das Übernatürliche berührt. Angetrieben von der feurigen Energie des Ensembles Le Balcon ist dies eine sinnliche, politische und ökologische Oper, die so aktuell ist wie die Klimakrise selbst.
BESETZUNG
Die Frau / Der Baum | Helena Rasker |
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Der Förster | William Dazeley |
Die Studentin | Juliette Allen |
Der Wald | Adèle Carlier Hélène Fauchère Guilhem Terrail Sean Clayton René Ramos Premier Florent Baffi |
Instrumental- und Elektronikensemble | Le Balcon |
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Musik | Sivan Eldar |
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Text | Cordelia Lynn |
Musikalische Leitung | Maxime Pascal |
Regie | Silvia Costa |
Szenografie | Silvia Costa |
AI-Videoerstellung | Francesco D’Abbraccio |
Kostüme | Laura Dondoli |
Licht | Andrea Sanson |
IRCAM Computer Musik Design | Augustin Muller |
Ton-Projektion | Florent Derex |
Korrepetitor.innen | Alain Muller Bianca Chillemi |
Assistent.in der musikalischen Leitung | Richard Wilberforce |
Regieassistent.in | Gabrielė Bakšytė |
Assistent.in für Bühnenbild und Requisiten | Elena Zamparutti |
Assistent.in für Szenografie | Alessio Valmori |
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Like flesh gewann den FEDORA-Preis für die Oper 2021 mit der Unterstützung von Generali.
Produktion Opéra de Lille, Koproduktion Opéra Orchestre national de Montpellier, Opéra national de Lorraine, Ircam-Centre Pompidou.
Copyrights Éditions Durand
VIDEOS
HANDLUNG
Die Handlung spielt im Wald und in einem Haus im Wald.
Szene 1. Was der Wald wusste
Der Wald offenbart sein uraltes Wissen über die Natur und die Geschichte der Welt. Das Leben breitet sich überall aus, die Wurzeln der Bäume singen.
Szene 2. Die Vögel kommen nicht mehr hierher
Der Förster verwaltet den Wald nach den Regeln der kapitalistischen Welt; die Frau ist traurig, weil die Natur von den Menschen langsam zerstört wird. Die Studentin, die bei ihnen lebt, beschreibt, wie Tiere geschlachtet werden; der Förster und seine Frau sind von ihrer Neugier und Leidenschaft tief bewegt.
Szene 3. Was die Bäume taten
Der Wald erzählt von der Rolle der Bäume in einer bewohnbaren Erde, von der allmählichen Zerstörung der Natur und prophezeit eine Welt, in der die Bäume nicht mehr existieren werden.
Szene 4. Die Farbe Rot
Die Studentin erklärt, warum sie von Bäumen fasziniert ist, die Frau hört ihr interessiert zu. Ihr Dialog entwickelt sich zu einem Liebesduett.
Szene 5. Was die Güte lehrt
Die Frau fragt den Förster, ob die Bäume leiden, wenn er sie fällt. Der Mann sieht seine Frau mit der Studentin in den Wald gehen; mehr will er nicht wissen.
Szene 6. Was der Mensch tat
Der Wald erzählt eine Anekdote: Als eines Tages ein Holzfäller mit einer Axt kam, riefen die Bäume: Seht, der Griff ist einer von uns!
Szene 7. Der dritte Traum
Die Frau und die Studentin küssen sich. Die Frau verwandelt sich in einen Baum.
Szene 8. Was der Mensch als nächstes tat
Der Wald listet auf, wofür der Mensch die Pflanzen benutzt.
Szene 9. Nun. Deine Frau ist also ein Baum geworden
Die Studentin erzählt dem Wald von dem Wunder, das gerade geschehen ist. Sie beschuldigt den Mann, ein Mörder zu sein. Die Grenzen zwischen dem Wald und den Menschen beginnen sich aufzulösen.
Szene 10. Bedauern
Der Förster fragt seine Frau, was sie fühlt, nachdem sie ein Baum geworden ist.
Szene 11. Was der Wald sah
Der Wald bewahrt die Erinnerung an das Blutvergießen und die von der Menschheit begangenen Verbrechen.
Szene 12. Ein Baum erinnert sich
Ein Dialog zwischen dem Baum und der Studentin in einem Wald, dessen Bewohner vom Menschen verlassen wurden. Der Wald trauert um die Abwesenheit seiner verwandelten Frau; die Studentin entdeckt, wie schwierig es ist, mit der Frau zu kommunizieren, da sie nun ein Baum ist und in einer anderen Zeitrechnung lebt.
Szene 13. Verflechtung
Die Frau, die sich in einen Baum verwandelt hat, ist nun völlig mit dem Wald verwachsen. Sie teilen ihre Nahrung und ihren Schmerz. Der Baum sagt, dass die Studentin sie verletzt hat, als sie Herzen in ihren Stamm schnitzte, aber auch, dass sie sie gepflegt hat. Der Wald erklärt den ewigen Kreislauf der Zersetzung und des Wiederaufbaus von organischen Stoffen.
Szene 14. Wie es sich mit dem Holz verhält
Die Studentin erzählt dem Förster, wie traurig sie ist, dass ihr eigenes menschliches Leben nicht denselben Rhythmus hat wie das des Baumes; der Förster lobt das Feuer und die menschliche Zivilisation.
Szene 15. Und wieder Winter
Die Studentin will mit dem Baum verschmelzen. Der Förster erntet, schneidet und stutzt, aber die Äste werden immer wieder nachwachsen.
Der letzte Monolog des Waldes: Nach der Verwüstung durch die globale Erwärmung und die Umweltzerstörung wird das Leben zurückkehren, die Natur sich die Welt zurückerobern.
EINBLICKE
Die Geburt einer Oper
Unterhaltung mit Komponistin Sivan Eldar
Like flesh ist Ihr erstes Werk, das für die Opernbühne bestimmt ist, aber Sie haben bereits mehrere szenische Stücke für die Stimme geschrieben. Woher kam die Idee?
Sivan Eldar: Es waren mehrere Erfahrungen, die mich dazu inspirierten, für die Bühne zu schreiben, insbesondere die Arbeit mit singenden Tänzer:innen im Jahr 2014. Dann komponierte ich The White Princess nach Rilke für zwei Stimmen, Schlagzeug und Elektronik, das 2016 im Rahmen der Académie du Festival d'Aix-en-Provence in Zusammenarbeit mit der Dramatikerin Cordelia Lynn uraufgeführt wurde. Im August 2018 wurde mein Stück Heave (Aufstand) für sechs Stimmen und Elektronik in der Fondation Royaumont uraufgeführt und 2019 Una Mujer Derramada (Eine umgekehrte Frau) für Solistin und Orchester. Diese Werke lieferten mir wertvolles musikalisches Material, das mich ganz organisch zur Komposition von Like flesh führte.
Für diese Oper haben Sie erneut mit Cordelia Lynn zusammengearbeitet. Die Geschichte, die sie sich als Librettistin ausgedacht hat, erinnert an die Mythologie, insbesondere an eine der Geschichten aus Ovids Metamorphosen. Daphne wird von Apollo verfolgt, einem Liebhaber, vor dem sie flieht, und bittet ihren Vater, den Fluss Peneus, ihr zu helfen, ihrem Peiniger zu entkommen. Daraufhin verwandelt sie sich nach und nach in einen Lorbeerbaum.
SE: Es ist auch das imaginäre Schicksal einer Frau, die ein liebloses Eheleben mit einem Förster, ihrem Mann, führt. Das plötzlich aufkommende Verlangen nach einem jungen Studenten bringt das Paar aus dem Gleichgewicht und veranlasst sie, ihre Gestalt zu verändern, sie verwandelt sich. Indem sie zu einem Baum im Wald wird, hofft sie, ihrer unglücklichen Existenz zu entkommen.
Hat Sie diese Beschwörung des Wandels inspiriert?
SE: Ganz sicher! Die Metamorphosen sind Ausdruck dessen, dass alles im Fluss ist. Die Grenzen zwischen Mensch und Natur verschmelzen und verschwimmen. Wir befinden uns an einer Schnittstelle zwischen den Welten, am Ursprung einer mythischen Zeit. Sie ist gleichzeitig magisch, geheimnisvoll und verstörend.
Sehen wir in dieser Kombination von Elementen und Bewegungen von einem Körper zum anderen den Hauch der Liebe selbst strömen?
SE: In dieser Oper gibt es zwei miteinander verwobene Themen. Einerseits die Zerstörung der Umwelt, mit einer Dreiecksbeziehung als Metapher. Zum anderen die Beziehung zur Liebe und zu einem geliebten Menschen, wobei die Zerstörung der Umwelt als Metapher dient. Diese Zweideutigkeit ist bedeutsam. Sie bringt uns dazu, uns zu fragen: Was ist der Gegenstand und was ist die Metapher?
Hat die Natur, wie der Wald, nicht auch eine dunkle und bedrohliche Seite?
SE: Ja, der Wald, der vom Chor verkörpert wird, ist provokativ und beunruhigend, aber auch anziehend. Er ist ein unbekannter Ort, ein Ort der erotischen Erkundung und der Veränderung. Die menschliche Reaktion auf Veränderungen - die Aufregung und die Angst, die sie hervorrufen - steht im Mittelpunkt des Librettos.
Welche musikalische Form haben Sie dieser poetischen und symbolischen Erzählung gegeben, die den Einbruch des Fantastischen in den Mittelpunkt des menschlichen Dramas stellt?
SE: Eine Abfolge von fünfzehn Szenen, unterbrochen von einem Chor, durchzieht die Partitur in einer konstanten Bewegung, in der sich die Geschichte auf mehreren Ebenen entfaltet und mit einer dunklen Note endet, die von der Stimme des Waldes getragen wird, wie ein griechischer Chor. In dieser Erkundung von Fantasie und Realität, Liebe, Sehnsucht und Einsamkeit, der Natur und ihren Geschöpfen und natürlich der Verwandlung geht das Leben in all seiner Komplexität weiter.
Wie sind Sie in Bezug auf die Klangfarben mit diesen verschiedenen Universen umgegangen, die sich gegenseitig berühren?
SE: Auf der Bühne die melodische Welt, ein Vokaltrio und ein verstärkter Chor, im Orchestergraben ein akustischer Instrumentalraum und im Parkett ein elektroakustischer Instrumentalraum. Hierfür habe ich auf die Technologie des Ircam und die Computerproduktion von Augustin Muller zurückgegriffen. Elektroakustische Materialien verbreiten über Lautsprecher im Theater Klänge, welche die Anwesenheit des Waldes suggerieren, und schließlich verbreiten unter den Sitzen angebrachte Lautsprecher konkretere Klänge, die an die verborgenen Bewegungen der Natur erinnern. Diese Einheiten treten in einen Dialog und verwandeln sich als Echo auf das Thema der Metamorphose und schaffen eine immersive Klangumgebung.
Like flesh wurde 2021 mit dem FEDORA-Preis für Oper ausgezeichnet, mit dem Innovationen in der Oper gewürdigt werden. Was halten Sie von Opern, die heutzutage geschrieben werden?
SE: Ich möchte, dass die Chiffren der Oper aufgefrischt werden. Technologische Hilfsmittel spielen dabei eine Rolle, aber auch die Auswahl und die Form der Themen, die auf die Bühne gebracht werden. Neben der Unterhaltung kann die Oper uns helfen, über zeitgenössische Fragen nachzudenken und unsere Perspektive auf Themen wie Umwelt und Geschlecht zu ändern.
Interview von Marguerite Haladjian, Oktober 2021, wiedergegeben mit freundlicher Genehmigung des Opéra Magazine