Zemira e Azor
Prinz Azor lebt in einem einsamen Palast. Er wurde von einer rachsüchtigen Fee in eine bestialische Gestalt verwandelt. Als ein fremder Kaufmann den Burgfrieden stört, verlangt Azor ein Menschenopfer als Strafe. Zemira, die Tochter des Händlers, ist bereit, ihr Leben zu opfern, aber bald entdeckt sie, dass Azors tierische Gestalt eine ganz andere Seele verbirgt. Wird die Liebe den Tag retten?
Die Schöne und das Biest bedarf kaum einer Einführung. Hier findet das zauberhafte Märchen die Form einer unterhaltsamen Komödie des belgisch-französischen Komponisten André Grétry, die 1771 in Fontainebleau mit den üblichen Arien, einem Ballett und gesprochenen Dialogen uraufgeführt wurde und schnell das Publikum in aller Welt eroberte. Die 1776 an der Mannheimer Hofoper uraufgeführte Fassung war die erste italienische Übersetzung des Märchens, bei der alle gesprochenen Dialoge durch Rezitative ersetzt wurden. Nun bringt das Nationaltheater Mannheim die Neuinszenierung von Zemira e Azor auf die Bühne des historischen Schlosstheaters Schwetzingen aus dem Jahr 1753. Dirigent Bernhard Forck und die Akademie für Alte Musik Berlin haben sich mit dem Regisseur, Bühnen- und Kostümbildner Nigel Lowery zusammengetan, um diesem bezaubernden Werk neues Leben einzuhauchen.
BESETZUNG
Zemira | Amelia Scicolone |
---|---|
Azor | Patrick Kabongo |
Ali | Raphael Wittmer |
Sandro | Thomas Berau |
Fatima | Seunghee Kho |
Lesbia | Maria Polańska |
Orchester | Akademie für Alte Musik Berlin |
Statisterie | Astrid Friedrich Alex Zivkovic Andreas Eichhorn Uwe Herbstmeier Thomas Mahlert Louis Neuhierl Christian Schepke Martina Haimerl (Lead) |
... |
Musik | André-Erneste-Modeste Grétry Ignaz Holzbauer Niccolò Jommelli |
---|---|
Text | Jean-François Marmontel Mattia Verazi |
Dirigent | Bernhard Forck |
Regie, Bühne, Kostüme | Nigel Lowery |
Licht | Lothar Baumgarte |
Dramaturgie | Xavier Zuber |
... |
In Zusammenarbeit mit den Schwetzinger SWR Festspielen und dem Forschungszentrum Hof │Musik │ Stadt
VIDEOS
Handlung
ERSTER TEIL
Der Kaufmann und Vater dreier Töchter, Sandro, wird in einem Sturm schiffbrüchig und verliert all seinen Besitz. Gemeinsam mit seinem Gehilfen Ali strandet er an einem fremden Ort, wo sie Zuflucht in einem verwunschenen Schloss finden. Reichlicher Alkoholgenuss macht Ali schläfrig, sodass sein Herr vergeblich zum Aufbruch drängt. Doch Sandro verspielt sogleich die vorgefundene Gastfreundschaft, als er für seine Tochter Zemira eine rote Rose als Andenken entwenden möchte. Auf einmal erscheint der fürchterliche Schlossherr Azor und will Sandro wegen des Diebstahls der Rose töten. Als Sandro sich zu rechtfertigen versucht und erklärt, er habe mit der Rose nur den Wunsch seiner Tochter erfüllen wollen, bleibt Azor zwar zornig, bietet jedoch einen Pakt an: Er will Sandro verschonen, wenn er ihm eine seiner Töchter zur Frau gibt. Sollte Sandro ihn betrügen, wird er sich an ihm rächen; hält er sich an den Pakt, wird er ihn reich belohnen. Sandro willigt nach einigem Zögern ein und erhält die Rose als Zeichen des Paktes.
Von einer Zauberwolke nach Hause gebracht, berichtet Sandro seinen Töchtern vom Verlust seines Besitzes. Die älteste Tochter Zemira jedoch bemüht sich, ihn zu trösten und betont das Familienglück, das über jedem materiellen Wert stehe. Sie besingt die Rose, die Sandro ihr mitgebracht hat, weiß sie doch nicht, was sie ihn gekostet hat … Während Ali das Leid Zemiras über den traurigen Vater nicht länger ertragen kann und ihr vom Pakt mit der Bestie erzählt, sieht sich Sandro zu einer Entscheidung gezwungen. Er schreibt einen Abschiedsbrief an seine Töchter und will die Vereinbarung mit Azor brechen. Er beschließt zu sterben – zum Wohle Zemiras. Sie allerdings, die nun durch Ali in die Verwicklungen eingeweiht ist, kann den Tod ihres Vaters nicht einfach so hinnehmen und ist entschlossen, zu Azor zu reisen.
ZWEITER TEIL
In seinem Palast beklagt Azor sein hässliches Äußeres, zu dem ihn eine Fee verurteilt hat. Es müsse nur ein Mädchen seinen wahren Kern und seine innere Güte erkennen und der Fluch wäre überwunden. Als Zemira, von Ali dorthin geführt, bei Azor ankommt, ist sie vom Inneren des Palasts entzückt. Sie allein hält das Schicksal ihres Vaters und der Familie in der Hand und in diesem Glauben kann sie ihre Angst vor dem Fremden überwinden. Sie merkt, dass Azor nicht böse ist, da seine Stimme zart und angenehm klingt. Sie äußert den Wunsch, ihre Familie sehen zu dürfen, Azor zeigt ihr die Schwestern und den Vater in einem magischen Zauberbild. Aus Sorge um ihren Vater will sie zu ihrer Familie zurück. Azor vertraut ihr. Er gibt ihr einen magischen Ring, der sie von ihm befreit; wirft sie ihn weg, so kehrt sie zurück. Sie schwört, vor Sonnenuntergang zu ihm zurückzukehren, da er sonst vor Einsamkeit stirbt.
Als Zemira wieder bei ihrer Familie ist, berichtet sie von der Güte Azors, von seinen menschlichen Gefühlen und seiner liebevollen Art. Doch Sandro lässt sich nicht beirren und will Zemira von der Insel und dem vermeintlichen Ungeheuer fernhalten. Zemira jedoch verlässt die Familie. Der Vater gibt sie verloren. Derweil ist der verliebte Azor entschlossen, seinem einsamen Dasein ein Ende zu bereiten, glaubt er doch, dass Zemira nicht mehr zurückkommen werde. Sie hält aber ihr Wort, und im Angesicht dieser Hingabe und Treue sowie des Liebesgeständnisses wird Azor entzaubert und zeigt sich in seiner natürlichen und wunderschönen Gestalt. Zemira ist entzückt, doch eines ist ihr noch wichtig: Das Wohl ihrer Familie. Der Vater Sandro erscheint mit den Schwestern und gibt der Liebe den väterlichen Segen. Das Brautpaar besingt die Leiden und Freuden der Liebe. Es verspricht, niemand anderem mehr gefallen zu wollen und einander glücklich zu machen. Die Anwesenden stimmen in den Jubel mit ein. Treue, Wahrheit und Ehrlichkeit obsiegen.
Einblicke
Becoming Zemira and Azor
Xavier Zuber im Gespräch mit Nigel Lowery und Bernhard Forck.
Was hast du mit der Schönen und dem Biest hier in Schwetzingen vor?
Nigel Lowery: Nun, es ist ein Märchen, wie wir alle wissen. Es muss die erste Oper zu diesem Thema sein, denn Madame de Villeneuve hatte die Geschichte erst 30 Jahre zuvor, 1740, geschrieben. Was mich interessiert, ist das Märchen. Es geht eigentlich um eine Art Analyse dessen, was es darstellt: In Märchen und Feengeschichten geht es immer um Übergangsriten, es geht um ein Kind, das erwachsen wird. Das bedeutet dann auch einen Übergang von einem kindlichen Ich, wo sich alles um mich dreht, zu einem Anpassen der Psyche an die Gesellschaft.
Zemira?
NL: In diesem Fall ist es Zemira, aber es ist auch Azor, weil er in diesem Stück von der bösen Fee verflucht ist. Azor hat diesen Anpassungsprozess fast hinter sich, aber er hat immer noch nicht ganz gelernt, dass er seine sexuellen oder bestialischen Triebe, seine Libido, nicht ungezügelt ausleben darf. Beide – Zemira und Azor – sind also auf dieser Reise der eigenen Entwicklung.
Es ist eine sexuelle Erweckung.
NL: Ja! – Ein Frühlingserwachen. Und wie wir wissen, haben in den traditionellen Märchen, wo ein Vater und drei Töchter im Mittelpunkt stehen, die beiden anderen Töchter meist einen negativen Einfluss. Aber in diesem Fall sind Fatima und Lesbia eigentlich auch noch junge Mädchen, die die Reise, die Zemira antritt, erst noch antreten müssten. Mit anderen Worten, sie sind sehr kindlich.
Die Oper ist also Unterhaltung mit einem ernsten Hintergrund. Ist das noch ein barockes Thema? Und inwiefern hat das eine Rolle gespielt in deiner Arbeit an »Zemira und Azor«?
NL: Zuerst einmal hört man das in der Musik. Es ist interessant, dass Zemira am Anfang in ihrer Cavatina Vezzosa Rosa diese sehr einfache und tänzerische Musik hat. Aber wenn man zum vierten Akt kommt und sie diese starke Sehnsucht und dieses Bedürfnis empfindet, ist die Musik viel heroischer.
Hattest du bei der Inszenierung irgendwelche barocken Elemente im Sinn?
NL: Nun, ich gestalte es sehr visuell und mit verschiedenen Bildern. Es gibt also Reste eines barocken Kulissentheaters, das ursprünglich auch beim Publikum sehr beliebt war. Aber natürlich geben wir hier diese spezielle Mannheimer Fassung. Und da du mich nach dem Barock gefragt hast: In dieser Mannheimer Fassung sind vier Nummern von Jommelli enthalten, die viel früher entstanden sind und viel direkter aus der Welt der Opera seria stammen. Das passt zwar nicht immer ganz zusammen, ist aber interessant. Es gibt also diesen Rest von Barockelementen, die in eine klassische Sphäre übergehen.
Und was kann das Publikum in Bezug auf die visuelle Gestaltung erwarten?
NL: Ich versuche, diese Art von Übergang auch visuell zu reflektieren. Wir beginnen also in einer Art Holzstube, so wie man sich die arme Familie vorstellt – in gewisser Weise zeitlos. Aber im Laufe des Stücks wird es immer zeitgenössischer und zu etwas, was wir aus unserem eigenen Leben kennen. Es gibt also eine Autobahn, es gibt das Fußballstadion am Ende …
Und du bringst auch ein Element aus Schwetzingen ein, richtig?
NL: Ja, ich verwende einige sehr unmittelbare Elemente aus dem Schlossgarten in Schwetzingen. Da geht es mir um die einsame Welt von Azor, der verzaubert worden ist. Man muss sich also vorstellen, dass diese so weit weg von der Gesellschaft liegt wie möglich. Und dieses Element, das »Ende der Welt« im Schwetzinger Schlossgarten scheint mir die richtige Referenz dafür zu sein. So benutze ich dies auch als visuelles Element in meinem Bühnenbild.
Das Ende der Welt – was bedeutet das konkret?
NL: Es ist ein sehr einsamer Ort und es geht um Azors Isolation. Azor ist nicht in der Lage, zu teilen. Wenn die Oper beginnt, hat sich dieser Schmerz bereits zu lösen begonnen, denn er hat bereits Macht bekommen. Er ist irgendwie in der Lage, Sandro in sein Territorium zu locken und ihm dort gegenüberzutreten. Also in einer Weise zieht Azor hier selbst schon die Fäden, die von da an den Verlauf der Oper bestimmen und ihm zu Zemira und zu einem neuen Äußeren verhelfen. Aber eigentlich ist es auch Zemiras Seite, die mich in dieser Dreiecksbeziehung interessiert, da sie die Sicherheit und Geborgenheit des Elternhauses verlassen muss, für sich einsam in die Welt hinausgeht und ihre Weltsicht dann auf jemanden überträgt, der anders ist – Azor.
Es ist wie bei zwei Kindern, die sich zum ersten Mal im Garten treffen. Irgendwie erzählt das eine dem anderen etwas, und das reagiert dann darauf.
NL: Es berührt auch das Thema des Ödipalen. Der Vater will die Tochter nicht freilassen und die Tochter muss frei sein, aber sie findet es sehr schwierig, ihre Liebe vom Vater auf jemand anderen zu übertragen.
Ist Azor schon ein Teil von Zemiras Welt?
NL: Ja, in dieser Inszenierung zeige ich, dass er schon am Fenster steht, er ist sozusagen schon da. Und so kann sie ein bisschen fantasieren. Aus diesem Grund ist der ganze erste Akt eigentlich ihre Fantasie.
Er ist in ihrer Fantasie wie ein Vampir oder ein Werwolf. Wie in einem Horrorfilm. Der Mann ist derjenige, der über sie herfällt, von ihr Besitz ergreift.
NL: Auf jeden Fall. Und deshalb erscheint er als diese Bestie.
Auch ein Bild des Unbekannten.
NL: Ja. Und das ist sehr interessant, weil Ali, der Diener des Vaters von Zemira, in einer Arie noch die Weisheit verkündet, dass man durch Angst vor den unbekannten Dingen die von ihnen ausgehende Gefahr nur noch vergrößert. Das ist genau das, was mit ihrer Vorstellung davon, was ein junger Mann für sie ist, passiert. Wenn wir nun ein Kostüm für die Bestie machen, dann schaffen wir aus diesem Grund kein Monster oder eine Bestie, sondern wir denken, es ist einfach jemand, dessen Züge Zemira aus ihrer Angst heraus verzerrt wahrnimmt. Er ist sozusagen haarig geworden.
Bernhard, wie siehst du das Stück nach vier Wochen Probenzeit?
Bernhard Forck: Durch die intensive szenische und musikalische Probenarbeit ist mir das Stück sehr ans Herz gewachsen. Ich bin sehr beeindruckt von der Musik Grétrys, ihrer Klarheit und Leichtigkeit, die aber auch tief berührende Momente hat. Die Musik ist farbenreich, voller Humor, die Personen sind wunderbar unterschiedlich und charakteristisch gezeichnet. Auch in der Instrumentierung ist das Stück immer wieder überraschend, nicht nur in der berühmten Bühnenmusik, in der die damals noch jungen Klarinetten zum Einsatz kamen.
Und musikalisch: Wo reihst du »Zemira e Azor« stilistisch ein? Mehr Rameau oder mehr Mozart?
BF: Zemira e Azor ist zwar nur sieben Jahre nach Rameaus Tod in Fontainebleau und kurz danach in Paris mit großem Erfolg uraufgeführt worden, das Stück hat aber nichts mehr mit der Tragédie lyrique, der großen fünfaktigen französischen Oper, gemeinsam. Eigentlich passt das Stück in keine richtige Schublade. Es ist eine Märchenoper mit Einflüssen aus der Opéra-comique, aber auch dem Jahrmarktsspektakel. Die Musik entspricht dem klassischen Ideal, weist in vielen Details durchaus auf Mozart hin, nimmt aber auch italienische Einflüsse auf, die im Belcanto münden, wie wir sie dann später von Bellini oder Rossini kennen.
Was sind die Unterschiede zum französischen Original? Hat die Italianisierung die Oper musikalisch verändert?
BF: Die Italianisierung bedeutete nicht nur eine Übersetzung in die italienische Sprache, die Signor Verazi sehr gewissenhaft vorgenommen hat. Sie war ein enormer Eingriff in die musikalische Gestalt der Oper. Die gesprochenen Dialoge wurden in gesungene Rezitative umgewandelt, an vielen Stellen nicht nur vom Cembalo, sondern sehr kunstvoll vom ganzen Orchester begleitet. Für die zum Teil aus Dialogen bestehenden Aktschlüsse musste Ersatz gefunden werden, da man das Publikum nicht mit einem Rezitativ in die Pause entlassen konnte, außerdem sollten auch die Rollen der Schwestern adäquat mit Arien versorgt werden. Hierfür beauftragte man merkwürdigerweise nicht den Hofkapellmeister Holzbauer, der die Rezitative meisterhaft komponiert hatte, sondern griff auf drei Arien von Niccolò Jommelli zurück. Wir haben es jetzt also in dieser Oper mit drei unterschiedlichen Komponisten zu tun. Auch wenn die Musik Grétrys weitestgehend unangetastet blieb, hat das Stück dadurch etwas von seiner Leichtigkeit verloren, aber an Gewicht gewonnen.