The Rake's Progress

Der Teufel steckt im Detail

Die Kostümbildnerin Christina Lovery kreiert für The Rake’s Progress eine verzerrte Realität.

„Ich habe überhaupt keine Angst vor Farben“, sagt Christina Lovery. Das ist für alle, die Loverys Arbeit kennen, offensichtlich. Die Kostümbildnerin kann auf eine Reihe von farbenfrohen Theaterprojekten verweisen, darunter Charlie und die Schokoladenfabrik am Norske Teatret und Alice im Wunderland am Nationaltheater in Oslo. „Es ist schwer zu sagen, was genau mich als Designerin charakterisiert, aber die Leute sagen, dass sie den Stil oft wiedererkennen“, meint sie.

Zurzeit ist sie an der Nationaloper in Oslo, wo sie ihrer Arbeit vor der Premiere von The Rake’s Progress den letzten Schliff gibt. Die Liste ihrer Erfolge in Theater, Film und Fernsehen ist lang, aber es ist das erste Mal, dass Loverys Kostümdesign auf Norwegens größter Opernbühne zu sehen ist. „Als ich meinen Master an der Nationalen Kunstakademie Oslo im Fach Kostümdesign für Oper machte, gab es keine Zweifel, dass ich gerne am hiesigen Opernhaus arbeiten würde. Außerdem habe ich in der Vergangenheit mit mehreren Mitgliedern des künstlerischen Teams zusammengearbeitet, was einen Unterschied macht.“

Eine verzerrte visuelle Welt


Igor Strawinsky schrieb die Oper The Rake’s Progress (Der Werdegang des Wüstlings) auf der Grundlage von acht satirischen Gemälden und Radierungen von William Hogarth. Darin dargestellt ist der Absturz eines Mannes, der ein großes Vermögen erbt, dieses durch Glücksspiel verliert und verzecht und schließlich in einer Nervenheilanstalt endet. Das Wort „rake“ (Wüstling) ist eine veraltete Bezeichnung für eine meist männliche Person, die ein hedonistisches, zügelloses und ausschweifendes Leben führt.

Hogarths Gemälde und Strawinskys Oper haben moralisierende Untertöne, wenn es um Maßlosigkeit und die Wahl des kürzesten Weges im Leben geht. In der Version von Regisseur Vidar Magnussen wird jedoch eine andere Perspektive eingenommen: „Für uns ist es wichtig, sich auf den Fakt zu konzentrieren, dass dieser Mann krank ist und nicht nur ein Mann, der die falschen Entscheidungen im Leben trifft“, erläutert Lovery. „Während sich Hogarths Gemälde auf die Moral konzentrieren, geht es in dieser Version um die Liebe zu einem kranken Menschen.“

Die gesamte Geschichte wird aus der Sicht von Tom in einer Nervenheilanstalt erzählt, und zwar als Reise, die sich in seinem Kopf abspielt. „Wir sehen Toms Visionen, und deshalb ist alles fragmentiert und durcheinander. Die Menschen, denen er auf seinem Weg begegnet, sind verzerrte Versionen der Menschen in der Anstalt. Diese Idee bildet die Grundlage für den gesamten Prozess für das Kostümdesign“, so Lovery. „Der visuelle Ausdruck ist von den Waschritualen in den Irrenhäusern der 1950er Jahre inspiriert. Wir wollten eine moderne Version schaffen, aber ohne einen bestimmten Zeitrahmen. Es kann jede Zeit von 1950 bis heute sein, doch erkennbar modern.“

Ewige Vervielfältigung


Die verzerrte Realität und die Wahrnehmung, dass sich Toms Krankheit verschlimmert, werden durch verschiedene Aspekte sowohl in den Kostümen als auch im Bühnenbild erzeugt. Elemente und Details wiederholen sich; die verschiedenen Personen und Orte gehen ineinander über und verschwimmen.

Die Geschichte wird von Nick Shadow angetrieben, der aus dem Nichts mit dem Angebot einer günstigen finanziellen Erbschaft auftaucht, die alle Probleme von Tom zu lösen scheint. Er lockt Tom in einen Pakt mit dem Teufel und taucht von da an überall auf.

Nick Shadow ist der Teufel auf Toms Schulter. Je mehr sich die Dinge zum Schlechten wenden, desto kränker wird Tom und desto mehr sieht er den Teufel überall.

Lovery entwarf das Kostüm von Nick Shadow in vier Stadien, um die Entwicklung der Figur visuell widerzuspiegeln: „Am Anfang ist er ein Exzentriker in einem gelben Anzug mit roten Haaren. Dann wird er immer teuflischer: Während Tom immer tiefer in seine Krankheit abrutscht, werden seine Haare zu Hörnern.”

Die gleichen roten Haare tauchen auch bei anderen Patient:innen in der Nervenheilanstalt auf. Der Hemdkragen des Teufels findet sich in den Kostümen der „Respektablen Bürger:innen“ wieder, eine verzerrte Version der Krankenschwestern und gespielt vom gesamten Opernchor. Gekleidet in gelbe Anzüge mit klobiger Silhouette (ein Markenzeichen von Lovery), dienen sie der Dramatisierung von Toms Halluzinationen: „Die Idee dahinter ist, dass sie nicht nur Individuen sind, sondern auch als Gruppe Bilder erzeugen. Der Arm der Frau passt in den Arm des Mannes, so dass, wenn sie sich einander nähern, sowohl Individuen als auch eine große Masse zu sehen sind. Es ist eine Art Verdoppelung des Teufels, eine ewige, nicht endende Verdoppelung.“

Kampf zwischen Gut und Böse


Während Nick Shadow die böse Kraft verkörpert, die Tom in die falsche Richtung zieht, finden wir sein Gegenstück in Anne Trulove – Toms ewig treue Verlobte, die ihn versucht zu retten und ihm zu helfen, gesund zu werden. Dieser Kontrast zwischen Gut und Böse kommt in den unterschiedlichen Materialien der Kostüme der Figuren zum Ausdruck: natürlich und echt versus synthetisch. „Sowohl im Bühnenbild als auch in den Kostümen spielt die Natur eine Rolle als das Reine und Echte, repräsentativ für die reine Liebe, die Tom retten kann“, sagt Lovery.

Anne Trulove, die Verkörperung des Guten, trägt Kleider aus natürlichen Materialien mit Blumenmustern. Das letzte Kostüm von Nick Shadow, das die Vollkommenheit des Teufels widerspiegelt, besteht aus schwarzem, gewebtem Kunststoff, der von Hand so in Form genäht wurde, dass das Material wie Muskelfasern oder Sehnen aussieht. Das Material ist so konzipiert, dass es das Licht reflektiert und glänzt. Lovery erklärt, dass dies eines ihrer Lieblingsdetails der Produktion ist: „Ich finde es einfach toll, wie die Linien von Hand genäht wurden. Ich habe zuvor schon mit diesem Material gearbeitet und bin sehr gespannt, wie es am Ende im Bühnenlicht aussehen wird.”

Sichtbare Charakterentwicklung


Wie Nick Shadow entwickeln sich auch die Kostüme anderer Figuren mit der Geschichte. Anne Truloves Kleider werden immer dunkler, je mehr sie den Kampf gegen die Wahnvorstellungen, die sich in Toms Kopf festgesetzt haben, verliert. Baba, die bärtige Dame und reisende Zirkusartistin, verkümmert visuell – von einer hoffnungsvollen Figur, die bereit ist für die Liebe, entwickelt sie sich zu einer verarmten und verzweifelten Frau, nachdem sie von Tom ausgenutzt wurde.

„Baba verkörpert die verletzliche Außenseiterin und den nachvollziehbaren Wunsch dazuzugehören,” beschreibt Lovery. “Wir sehen sie zum ersten Mal in einer übergroßen Jacke in Form eines Herzens als ein Symbol für die Liebe, die sie zu finden hofft.“ Baba heiratet Tom, er nutzt sie aus, sie verlieren alles, was sie besitzen, und landen auf der Straße; und diesen fortschreitenden Verfall sehen wir in ihren Kostümen.

In dieser Inszenierung ist sie zudem auch Toms Pflegerin – ein Mann, den Tom in seinem Wahn als Frau sieht, die er heiratet.

Mehrdeutige Syphilis


So sehr Lovery Kontraste nutzt, um Unterschiede hervorzuheben, so sehr spielt sie auch mit Zweideutigkeiten und scheinbar widersprüchlichen Elementen in ein und demselben Kostüm. Für die Bordellbesitzerin Mother Goose – benannt nach einem Euphemismus für Syphilis zur Zeit Hogarths – hat Lovery ein wunderschönes Kleid aus handbemalter Seide entworfen, das ihre weiblichen Rundungen betont. Den Rücken bedeckt eine Hand, im Bauchbereich befindet sich eine mit Perlen und Pailletten besetzte Zunge.

„Das Kleid soll verlockend und verführerisch und zugleich verstörend wirken. Man könnte sagen, dass die Perlen, die sich auf der Zunge ausbreiten, für Syphilis und Geschlechtskrankheiten stehen, aber nicht zu explizit“, erklärt Lovery. „Ich mag die Zweideutigkeit, die unscharfe Grenze zwischen dem Attraktiven und dem Gefährlichen. Man weiß, dass man vorsichtig sein solle, aber man stürzt sich trotzdem kopfüber hinein.“

Genau diese Doppeldeutigkeit zieht sich durch die gesamte Oper, die dank der musikalischen und szenischen Details zwischen absolut tragisch und urkomisch schwankt. Alles ist nur ein Spiel – aber ein gefährliches.

Verfasst von Ellinor Rundhovde.