Keine typische Märchenprinzessin
Die Geschichte von Turandot hat ihren Ursprung in einer französischen Märchensammlung von François Pétis de la Croix mit dem Titel Les mille et un jours („Die tausendundeinen Tage“, nicht zu verwechseln mit der berühmteren Tausendundeiner Nacht). Da viele dieser Geschichten nur in der Version von de la Croix gefunden wurden, fragten sich zahlreiche Gelehrte, ob er sie nicht selbst erfunden hatte. Im Fall von Turandot scheint der Ursprung jedoch in einer Geschichte des aserbaidschanischen Dichters und Philosophen Nizami Ganjavi aus dem 12. Jahrhundert zu liegen, den „Sieben Schönheiten“.
Puccini entdeckte die Geschichte durch Schillers Stück, das aus der deutschen Fassung einer italienischen commedia dell'arte von Carlo Gozzi stammt, der wiederum die Geschichte aus dem de la Croix übernahm. Welch ein Umweg! Puccini war nicht der erste Komponist, der sich für diese farbenfrohe Erzählung interessiert hat. Antonio Bazzini schrieb Turanda 1867, Ferruccio Busoni Turandot 1917, nur wenige Jahre bevor Puccini mit seiner Version begann.
„Hier legte der Maestro seine Feder nieder.“
Wenn Puccini immer als gewissenhaft bekannt war, so war das Schreiben von Turandot besonders mühevoll. In den vier Jahren vor seinem Tod war Puccini unschlüssig über die Anzahl der Akte und sbesonders besessen von dem letzten Liebesduett. Es sollte in seinen Augen zum alles entscheidenden Höhepunkt der Oper werden. „Ich habe meine ganze Seele in diese Oper gesteckt“, schrieb er im März 1924 an einen Freund. Er starb im November desselben Jahres.
Nach Puccinis Tod schlug sein Freund Arturo Toscanini, der die Uraufführung dirigieren sollte, dem jungen Komponisten Franco Alfano vor, die Partitur fertigzustellen. Obwohl Alfano Puccinis Skizzen zur Verfügung standen, waren viele von ihnen schwer zu interpretieren. Von dem Liebesduett zum Beispiel schrieb Puccini rätselhaft „Dann Tristan...“, in Anlehnung an Wagners Oper, die mit Isoldes exaltiertem Liebestod endet.
Turandot wurde im April 1926 an der Mailänder Scala uraufgeführt. Berühmterweise beendete Toscanini, als die Oper die letzte von Puccini geschriebene Note erreichte, die Aufführung, indem er soetwas wie „Hier legte der Maestro seine Feder nieder“ sagte. Die Alfano-Fassung wurde erst am folgenden Abend aufgeführt.
Eine dunkel verzauberte Welt
Die Inszenierung von Ricci/Forte folgt ebenfalls Alfanos Ende. „Nach der ersten Lesung dachten wir, dass die Oper mit dem Tod von Liu enden sollte. Aber später wurde uns klar, dass der emotionale Verlauf ein glückliches Ende verlangt. Schließlich haben wir im wirklichen Leben genug Enttäuschungen und traurige Enden“, erklärt Stefano Ricci, der mit Gianni Forte das Duo Ricci/Forte bildet, das für seine experimentelle, manchmal provokante Inszenierung bekannt ist, die auf OperaVision mit Nabucco zu sehen war. Für sie findet die Oper in einer verzauberten Welt statt: „Alles spielt sich im Kopf von Turandot ab, wie eine Vision, die es ihr erlaubt, die Figuren so zu gestalten, wie es ihr gefällt.“
Zwölf Tänzerinnen und Tänzer, die ihr Spielzeug darstellen - Schatten vergangener gescheiterter Beziehungen - stehen die ganze Zeit mit Turandot auf der Bühne. Rebeka Lokar, die die Titelrolle singt, sagt über ihre Figur: „Turandot ist ein junges, intelligentes Mädchen. Sie ist keine typische Märchenprinzessin, aber sie ist auch keine Hexe. Sie ist ein junges Mädchen voller Ängste, aufgrund derer sie die Menschen von sich stößt.“
„Unser Hauptziel war es, die Fiktion eines Märchens zu vermitteln“, betont Forte. „Turandot ist die eigentliche Regisseurin dieser Oper. Sie ist eine Person, die die Fäden ihrer Puppen zieht, uns alle in ihre Welt einführt, die eigentlich die Welt ihrer Phantasie ist, jedoch die einzige, in der sie sich sicher fühlt“, erklärt Ricci. Keine Chinoiserie, kein Orientalismus ist in dieser Inszenierung zu finden.
„Puccini liebte den Orient sehr, und einmal war er bei einem fernöstlichen Abendessen. Eine Spieldose spielte drei Melodien. Puccini hält die Zahl drei für eine magische Zahl aus Märchen. Turandot hat drei Assistenten, Ping, Pang und Pong, es gibt drei Rätsel, die Calaf lösen muss, es gibt drei Akte“, fügt der Dirigent Marcello Motadelli hinzu. „Für Puccini war das Theater wie diese magische Spieldose, wie ein Märchen, in dem alles möglich ist.“