Wir machen einen Ausflug, genauer gesagt zwei Ausflüge, gemeinsam mit einem Prager Gastwirt, der ein wenig, wie soll man sagen, ungehobelt ist. Die erste Reise von Herrn Brouček führt zum Mond, wo unser biertrinkender Held (wörtlich „Herr Käfer“) auf die ach so kultivierte Mondgesellschaft trifft. Die zweite Reise führt uns in eine heroische Episode der tschechischen Geschichte des frühen 15. Jahrhunderts, als das Volk gegen Kreuzzugsheere aus dem restlichen Europa kämpfte. Wird es Herrn Brouček im Prag anno 1420, wo die Hussiten in ihrem Glaubenskampf kurz vor dem berühmten Sieg stehen, besser ergehen?
Die Ausflüge des Herrn Brouček ist Janáčeks offenkundig komischste Oper, deren Komik im Grunde aus dem Aufeinanderprallen von Herrn Brouček mit Welten jenseits seiner begrenzten Vorstellungskraft besteht. Die Wirkung ist jedoch in beiden Teilen recht unterschiedlich. Im ersten Teil ist Herr Brouček im Vergleich zu den Mondkünstlern die Stimme des gesunden Menschenverstands. Im zweiten Teil kommt Broučeks „Vernunft“ gegenüber den Opfern der patriotischen Hussiten schlecht weg. Janáčeks Motiv für die Vertonung dieses zweiten Ausflugs war ein moralischer Appell an die Bürger:innen der künftigen Tschechoslowakischen Republik. Die Entstehung der Oper war nicht einfach, Janáček wechselte mehrfach den Librettisten; es dauerte ganze neun Jahre, bis er sie erfolgreich abschloss. Doch das Ergebnis ist ein reizvolles, experimentelles Werk, das vor allem im ersten Teil durch eine reizvolle Musik und im zweiten Teil durch mitreißende Hussiten-Chöre besticht. Für diese Neuinszenierung aus dem Herzen der Heimat des Komponisten hat das Janáček Festival Brno den berühmten kanadischen Regisseur Robert Carsen engagiert, der mit dieser für ihn sechsten Inszenierung einer Janáček-Oper das Festival 2024 eröffnet.
BESETZUNG
Matěj Brouček | Nicky Spence |
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Mazal / Blankytný / Petřík | Daniel Matoušek |
Sakristan / Lunobor / Domšík | David Szendiuch |
Málinka / Etherea / Kunka | Doubravka Novotná |
Würfl / Čaroskvoucí / Schöffe | Jan Šťáva |
Hilfskellner / Wunderkind / Student | Andrea Široká |
Kedruta | Jana Horáková Levicová |
Svatopluk Čech | Daniel Kfelíř |
Dichter / Andere Stimme / Oblačný / Vacek Bradatý | Tadeáš Hoza |
Maler / Die Stimme des Lehrers / Duhoslav / Vojta | Vít Nosek |
Komponist / Harfoboj / Miroslav Zlatník | Ondřej Koplík |
I. Taborite | Petr Karas |
Ein Dichter | Martin Pavlíček |
Anderer Dichter / II. Taborite | Pavel Valenta |
Orchester | Orchester der Janáček Opera NdB |
Chor | Chor der Janáček Opera NdB |
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Musik | Leoš Janáček |
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Text | František Gellner Viktor Dyk František Sarafínský Procházka F. S. Procházka |
Regie | Robert Carsen |
Musikalische Leitung | Marko Ivanović |
Bühne | Radu Boruzescu |
Kostüme | Annemarie Woods |
Licht | Robert Carsen Peter van Praet |
Choreografie | Rebecca Howell |
Dramaturgie | Robert Carsen Patricie Částková |
Chorleitung | Martin Buchta Pavel Koňárek |
Video | Dominik Žižka |
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HANDLUNG
I. Akt
Ein geschäftiger Abend in der Prager Kneipe Vikárka. Herr Brouček, ein lokaler Wirt, ist mehr an seinem Bier und seinen Würstchen interessiert als an allem anderen. Málinka, die Tochter des Sakristans, ist wütend auf ihren Freund Mazal, einer der vielen Mieter von Herrn Brouček, weil man ihn mit einem anderen Mädchen tanzen gesehen hat. Um ihn eifersüchtig zu machen, beschließt Málinka, mit Mazals Vermieter zu flirten. Brouček ist so betrunken, dass er ihr verspricht, sie zu heiraten – aber als ihr Vater ihn dazu befragt, behauptet Brouček schnell, dass er nur einen Scherz gemacht habe und Málinka nur heiraten würde, wenn sie beide auf dem Mond wären.
Es ist spät geworden und der Gastwirt Würfl schließt die Kneipe. Nur der betrunkene Brouček bleibt zurück. Bevor er einschläft, erzählt er dem Mond, dass er lieber dort oben leben würde, um all den Leuten aus dem Weg zu gehen, die ihre Miete nicht bezahlen und versuchen, sein Geld zu stehlen. Im Traum ist Brouček auf dem Mond, wo er einige der Mondbewohner:innen wiedererkennt: Einer von ihnen, Blankytný genannt, scheint Mazal sehr ähnlich, während eine andere, Etherea genannt, Brouček ganz klar an Málinka erinnert. Ebendiese Etherea, in Begleitung ihres Vaters und einer Schar Mondjungfern, verliebt sich auf der Stelle in Brouček. Mit Hilfe der Mondjungfern gelingt es Etherea, den widerstrebenden Hausherrn zu entführen.
Als Etherea mit Brouček wieder auftaucht, stellt Čaroskvoucí, ein anderer Mondbewohner, den seltsamen Erdling allen Künstler auf dem Mond vor – doch der hungrige und durstige Brouček interessiert sich nicht im Entferntesten für Poesie, Musik oder Kunst jeglicher Art. Die Mondkünstler leben ausschließlich von Blumenduft und sind entsetzt, als der ausgehungerte Brouček plötzlich eine Wurst aus seiner Tasche zieht. Als sie verärgert abziehen, hofft Brouček, endlich in Ruhe essen zu können, doch die immer leidenschaftlicher werdende Etherea hindert ihn daran...
Broučeks imaginärer Besuch auf dem Mond endet zurück auf der Erde in der Sicherheit der Vikárka-Kneipe, wo er friedlich schläft, während Mazal und Málinka sich nach ihrem Streit wieder versöhnen...
II. Akt
Brouček, von seinen Abenteuern auf dem Mond keineswegs entmutigt, betrinkt sich erneut in der Vikárka-Kneipe und stürzt sich gleich in ein unerwartetes und noch gefährlicheres Abenteuer: Nun wähnt er sich in den mittelalterlichen Straßen Prags, mitten in einem Kampf des tschechischen Volkes gegen feindliche Eindringlinge. Die Patrioten, auch diejenigen, die Brouček wiedererkennt, akzeptieren ihn als Gleichgesinnten, aber Brouček will um jeden Preis vermeiden zu kämpfen: Er liebt zwar sein Land, sein Bier und seine Würste – aber er ist nicht bereit, sein Leben dafür zu opfern.
Als das Prager Volk den Sieg über den Feind feiert, prahlt Brouček damit, wie tapfer er gekämpft hat, aber er wird beschuldigt, mit seiner Lüge seine Feigheit nur zu vertuschen versucht zu haben. Brouček wird dazu verurteilt, in einem Bierfass lebendig verbrannt zu werden, als er plötzlich in einem der leeren Biertanks der Vikárka-Kneipe wieder aufwacht. Überglücklich, unversehrt von seiner letzten unglaublichen Reise zurückgekehrt zu sein, prahlt Brouček vor dem Gastwirt mit seinen Heldentaten, bittet ihn aber inständig, diskret zu bleiben und niemandem davon zu erzählen...
Robert Carsen
Einblicke
Bis zum Mond und zurück – über Umwege!
Obwohl keine von Janáčeks Opern als komisch bezeichnet werden kann, beinhalten sie doch Humor, wenn auch eher als exotisches Gewürz. Vielleicht stimmt es, dass Anfang eines Romans (Počátek Románu) gut auch als Parodie im Stile von Die Stieftochter des Wilddiebs (Pytlákova schovanka) aufgeführt werden könnte. Doch die späteren Opern, Jenufa und Schicksal (Osud), waren große menschliche Dramen, die Janáček berühmt machten. Umso interessanter ist seine fünfte Oper: Die Ausflüge des Herrn Brouček (Výlety páně Broučkovy). Denn in dieser Oper über einen Prager Vermieter – einen typisch bodenständigen, kleinkarierten tschechischen Mann – funkelt der Humor nur so, besonders bissig im ersten Teil.
Janáček war kein Komponist, der zu abgenutzten Themen zurückkehrte, auch wenn in seinem Œuvre beispielsweise eine lange Reihe großartiger Frauenfiguren zu finden ist. So war auch Brouček nicht das erste Thema, das er nach der Fertigstellung von Schicksal für seine nächste Oper in Betracht zog. Janáček faszinierten andere Werke, wie dem Libretto Honza der Held (Honza hrdina) des Priesters und Dichters Karel Dostál Lutinov (1871–1903), Anna Karenina von Leo Tolstoi (1828–1910) und Die Münzherrin (Paní mincmistrová), einer Komödie über Schürzenjägerei und die Bestrafung von Unehrlichkeit von Ladislav Stroupežnický (1850–1892). Janáček schrieb sogar Skizzen für Tolstois Roman und Stroupežnickýs Komödie, gab diese jedoch letztlich auf und schlug einen anderen Weg ein: Zum Mond und wieder zurück in die Vergangenheit.
Eine Erzählung von Svatopluk Čech
Heute ist Svatopluk Čech (1846–1908) vor allem für seine Buchreihe über Matěj Brouček und seine Abenteuer bekannt, deren erstes Buch 1888 unter dem Titel Die wahre Reise des Herrn Brouček zum Mond (Pravý výlet pana Broučka do měsíce) erschien. Die tschechische Leserschaft war von der humorvollen Geschichte eines Gutsherrn angetan, der sich in einem trunkenen Traum auf dem Mond inmitten einer seltsamen Gesellschaft von Mondbewohnenden wiederfindet. Im nächsten Buch der Reihe, Die neue epochale Reise des Herrn Brouček, diesmal ins 15. Jahrhundert (Nový epochální výlet pana Broučka tentokráte do 15. století), erhalten der Humor und die Satire einen ernsteren Unterton, als Matěj Brouček während der berühmten Schlacht von Vítkov mit den Hussiten zusammenstößt. Mit seiner Unfähigkeit, noble Ideale zu verstehen, und seiner Vorliebe für Bequemlichkeit galt Brouček als Symbol des Provinzialismus, der im Gegensatz zu den viel gepriesenen höheren Idealen des Kampfes um nationale Identität stand. Dank ihrer großen Popularität kamen zu den ersten beiden Ausflügen einige Jahre später noch Bunte Reisen durch Böhmen: Das gemeinsame Werk von Matěj Brouček und seinen Gefährten (Pestré cesty po Čechách: společnou prací Matěje Broučka a společníků, 1891) sowie Matěj Brouček auf der Ausstellung (Matěj Brouček na výstavě, 1892) hinzu.
Janáček kannte das Werk von Svatopluk Čech gut: 1890 hatte er eines von Čechs Gedichten für sein Chorwerk Lied (Píseň) verwendet. Zwei Jahre zuvor war er auf Matěj Brouček und seine Abenteuer gestoßen, als er den Schriftsteller um Erlaubnis gebeten hatte, Teile aus zwei Kapiteln von Die wahre Reise des Herrn Brouček zum Mond in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift Hudební listy zu veröffentlichen. Čech starb im Februar 1908 – also genau dann, als Janáček über Sujets für neue Opern nachdachte – und es liegt nahe, dass er sich deshalb an den Schriftsteller und sein populäres Werk erinnerte. Vermutlich lenkten auch andere Umstände den Komponisten in Richtung Brouček. Während dieser Zeit war Janáček in Verhandlungen mit dem Theater in Vinohrady über die Produktion seiner brandneuen Oper Schicksal: In der Hoffnung, endlich eine Prager Premiere zu landen, war es für ihn logisch, über ein für Prag geeignetes Material nachzudenken.
Zu diesem Zeitpunkt müssen Čechs berühmte Reisen des Herrn Brouček, die in der Prager Kneipe Vikárka spielen, vielversprechend gewirkt haben. Darüber hinaus boten Broučeks Traum von einer Reise zum Mond und die fantastische Mondgesellschaft ein völlig anderes Umfeld; ganz zu schweigen von der Möglichkeit, Čechs Satire, die sich an die tschechische Bevölkerung in der Provinz richtete, auf die Intellektuellen- und Künstlerkreise Prags auszuweiten, darunter auf mehrere Personen, die Janáček und seinem Werk kritisch gegenüberstanden. Natürlich brachte der später hinzugefügte zweite Teil mit seinem Ausflug ins 15. Jahrhundert einen deutlich patriotischen Ton mit sich.
Die zahlreichen Librettisten des Komponisten
Zu Svatopluk Čechs Entwurf kamen die Ideen von Karel Mašek, Variationen von Holý und Ergänzungen von Dr. Janke hinzu, Gellner machte einige komische Eingriffe. Mit seinem Werk blieb Herr Mahen sein eigener Meister; Viktor Dyk schuf das Motto des Werks; František Serafínský Procházka appellierte durch Lieder; Dr. Max Brod fügte das das Zwielicht der Karikatur hinzu.
Ich könnte scherzhaft mit einem Volkslied fragen: „Warten Sie, stehen Sie still! Lassen Sie uns zählen, sind wir alle hier?“
Leoš Janáček, Lidové noviny vom 23.12.1917
Obwohl Janáček in seinem Feuilleton für die Lidové noviny eine humorvolle Zusammenfassung gegeben haben mag, war der Weg zur endgültigen Fassung von Brouček ein wahrhaft qualvoller, hauptsächlich aufgrund der Probleme beim Verfassen des Librettos. Das Martyrium um Brouček dauerte über neun Jahre, von der ersten Idee im Jahr 1908 bis zur Fertigstellung des ersten Teils der Oper im Jahr 1917, und erforderte sieben verschiedene Librettisten, die in unterschiedlichem Maße zu Brouček beitrugen. Andererseits können wir jedoch dankbar sein, dass Janáček dadurch schließlich den Mut fand, seine Libretti selbst zu schreiben.
Brouček heute
Trotz allerhand musikalischen Reichtums, Witzes und dramatischer Momente erlangte Janáčeks Die Ausflüge des Herrn Brouček nie dieselbe Popularität wie seine anderen Opern, die in den letzten Jahrzehnten sowohl in Tschechien als auch im Ausland regelmäßig aufgeführt wurden. Was hindert Matěj Brouček daran, stolz neben Katja Kabanowa, Jenufa, Emilia oder dem schlauen Füchslein zu stehen? Ein Großteil der Musik ergab sich aus Schicksal, doch gleichzeitig ging Janáček musikalisch einen Schritt weiter, der ihn schließlich zur Oper Aus einem Totenhaus führen sollte. Sie ist zweifellos musikalisch anspruchsvoll – nicht nur in Bezug auf die Orchesterbesetzung, sondern auch auf einige von Janáčeks Spezialitäten wie die Glasharmonika, die Dudelsäcke und die obligatorische Viola d’amore, die in Brouček vorkommen.
Wäre Janáček klüger gewesen, bei der ursprünglichen Idee der Mondreise zu bleiben, ohne einen zusätzlichen Teil hinzuzufügen? John Tyrell schreibt in seiner Janáček-Biografie, eine kürzere Länge hätte kein Hindernis sein müssen und die verspielte wie ungewöhnlich melodische Musik zeigt uns eine eher unbekannte Seite von Janáček. Für das Publikum außerhalb des tschechischen Raums wäre die Mondreise leichter zu verstehen gewesen als die Verbindung zum zweiten Teil, der für das Verständnis zumindest Grundkenntnisse der tschechischen Geschichte des 15. Jahrhunderts erfordert. Es ist für das heutige Publikum nicht leicht, sich mit den Hussitenkriegern zu identifizieren, da die Hussitenbewegung im 19. Jahrhundert – der Zeit, in der das Buch geschrieben wurde und der Höhepunkt des Unabhängigkeitskampfes – anders wahrgenommen wurde als heute, wo wir sie viel differenzierter als einen heroischen Widerstand der tschechischen Nation wahrnehmen.
Jedoch besteht Janáčeks Wunsch, dass Matěj Brouček ein warnendes Beispiel für die tschechische Nation wird. Und das kann er tatsächlich auch heute noch sein, angesichts historischer Ereignisse, die für Janáček noch weit in der Zukunft lagen. Es gab Broučeks im Zweiten Weltkrieg, während des kommunistischen Putsches im Februar 1948 und zur Zeit der Invasion des Warschauer Pakts im Jahr 1968. Und schließlich betrat die Menschheit den Mond – und zwar zur Musik von Dvořáks Aus der Neuen Welt. Vielleicht ist es an der Zeit, dass wir Brouček noch einmal aus einer anderen historischen Perspektive betrachten, um zu erkennen, dass Janáček recht hatte … wie immer.
Auszüge aus einem Text von Patricie Částková