The Rake´s progress - Den Norske Opera

Teufel in der Oper

Man nehme: einen verzweifelten Menschen in einer Ausnahmesituation; einen Teufel oder dessen Stellvertretung; und ein Versprechen, das nicht auszuschlagen ist, wie die Erfüllung der innersten Wünsche, unvermittelter Geldsegen, eine Liebesbeziehung oder ewige Jugend. So oder so ähnlich laufen die meisten Begegnungen mit dem Teufel ab – in Erzählungen, in Literatur, im Theater und selbstverständlich auch in der Oper. Der Haken an solchen Abmachungen? Meist wird nach der Erfüllung des Paktes die Auslosung der Seele des Menschen fällig, was nicht selten in einem dramatischen (und musikalisch oft äußerst effektvollen) Höhepunkt gipfelt, wenn unter diabolischem Gelächter das Opfer in die Hölle hinab gezogen wird. Doch manchmal kommt es auch überraschend anders, wenn es den Opernheld:innen gelingt, den Teufel zu überlisten. Hier stellen wir einige der fiesesten und witzigsten Darstellungen des Leibhaftigen in der Oper vor.

Wie klingt der Teufel?


Luzifer, der christliche Teufel, die Verkörperung des Bösen, der Gegenpol zum Guten und Göttlichen, ist im europäischen Musiktheater selten anzutreffen. Über die Jahrhunderte finden sich nur einige versprengte Werke, in denen er explizit als Rolle gekennzeichnet ist, hauptsächlich in geistlichen Kompositionen wie Oratorien. Neben Händels bekannterem La resurrezione (1708) handelt es sich bei Werken wie Friedrich Schneiders Das Weltgericht (1820) oder Lucifer (1866) des Belgiers Peter Benoits um Raritäten. In der ernsten Oper des 18. Jahrhunderts gibt es zuvorderst „Chöre wenig individualisierter Dämonen, die die Unterwelt des antiken Mythos bevölkern“ (Albert Gier) wie die Furien in Glucks Orfeo ed Euridice (1762). Erst ab dem 19. Jahrhundert nehmen markante und eigenständige Teufelsgestalten ihren Platz in der Operngeschichte ein, die den Topos bis heute nachhaltig prägen.

La Resurrezione - Teatro dell'Opera di Roma

Im Laufe der Jahrhunderte haben sich musikalische Konventionen herausgebildet, die mit dem Teuflischen assoziiert werden. Als Vertreter der Unterwelt bedient sich der typische Opernteufel der tieferen Register und steht in der Regel als Bass- oder Baritonpartie den strahlenden, verführbaren und (manchmal tatsächlich) unschuldigen Tenören und Sopranen gegenüber. Seine Begleitmusik ist häufig gekennzeichnet von Klängen, die als „schräg“ oder „schrill“ gelten: Schlagwerk, chromatische Bewegungen, grummelnde Bass-Rhythmen oder spannungsvolle Intervalle wie die Septime oder der Tritonus. Letzterer ist schon seit der Renaissance – und einhergehend mit der Bildung einer einheitlichen Harmonielehre in der europäischen klassischen Musik – ein gern genutztes Mittel für düstere Gestalten: Nicht umsonst werden diese vier Ganztöne, weder eindeutig Dur noch Moll, aufgrund ihres diffusen und instabilen Charakters als „diabolus in musica“ bezeichnet – der Teufel in der Musik. Hinzu kommen tonmalerische Einfälle wie auskomponiertes dämonisches Lachen oder verzerrte Stimmen.

Finstere Gesellen


Einer der wohl bekanntesten Teufel der romantischen Oper findet sich in Carl Maria von Webers Der Freischütz (1821), verortet im „Dunkel einer deutschen Misere“ (Jürgen Kesting) in der bürgerlichen Welt nach den napoleonischen Kriegen. Während der eigentliche Teufel, Samiel, eine stumme Rolle ist, wird seine Präsenz in der Musik erfahrbar: sowohl in der meisterlich schauerhaften Wolfsschluchtszene, als auch durch die Rolle des Kaspar, der selbst mit Samiel einen Deal abgeschlossen hat und um seine eigene Seele fürchtet. Schon in Kaspars Trinklied „Hier im ird’schen Jammertal“ wirken die hitzigen, auf- und absteigenden Sechzehntel und energischen Triller der Piccoloflöte weniger weinselig als bedrohlich. Sie sind Vorboten des dämonischen Samiel. Um seine eigene Haut zu retten, verspricht Kaspar dem leichtgläubigen Max erfolgreiche Probeschüsse, wenn er einen Pakt mit Samiel eingeht.

Die Szene in der nächtlichen Wolfsschlucht, in der Max und Kaspar ihr satanisches Ritual durchführen, ist laut Musikwissenschaftler Ulrich Schreiber „eine einzigartige und beispiellose Szene in der gesamten Opernliteratur, die Erhebung des Klangs zum Gestaltungsmittel. Weber hat auf diese Weise das Übernatürliche für die Bühne glaubhaft und musikalisch zugleich bedeutsam gemacht.“ Hier zieht Weber alle Register: ein von schrillen Holzbläsern begleiteter Gespensterchor, verfremde Orchestrierungseffekte und ausgiebige Dissonanzen werden mit den dunklen Kräften Samiels in Verbindung gebracht. Aber allen effektvollen Ritualen zum Trotz trifft Max‘ Probeschuss nicht – wie Kaspar gehofft hat – das Herz seiner geliebten Agathe, sondern den Bösewicht selbst. Während Max und Agathe ihr Happy End feiern, ist Samiels Vertrag erfüllt.

Ein Tenor, hin- und hergerissen zwischen seiner Loyalität zu einem finsteren, von einem Bass oder Bariton gesungenen Gesellen und seiner romantischen Bindung zu einem engelsgleichen Sopran – diese Dreieckskonstellation, die im Freischütz zwischen Max, Kaspar und Agathe herrscht, wurde zu einem wiederkehrenden Phänomen im 19. Jahrhundert, insbesondere in Bezug auf „teuflische Opern“. In Giacomo Meyerbeers Robert le Diable (1831), zweifellos von dem enormen Erfolg von Webers Oper inspiriert, hat der Pakt mit dem Teufel eine interessante Färbung: Der zwielichtige Bertram, der im letzten Akt mit einem Vertrag Roberts Seele zu erlangen glaubt, ist nicht nur der Höllenfürst, sondern Roberts Vater. Doch wider alle Versprechungen von Macht und Erfolg bleibt Robert standhaft. Wieder einmal triumphiert das Gute über das Böse, wenn schließlich in der Kathedrale von Palermo Bertram von der Unterwelt verschlungen wird. Wenn auch beide Teufelsgestalten, Bertram und Samiel, individuelle Charakterzüge tragen, können sie durch die christliche Moral besiegt werden: durch die Unschuld von Agathe und durch Roberts unerschütterlichen Glauben.

Von Verführung zu Verdammnis: Mephisto


In ihrem Schwanken zwischen Gut und Böse können Figuren wie Max aus dem Freischütz als Archetyp des faustischen Helden gelesen werden. Die Geschichte von Faust bzw. Doktor Faustus geht zurück auf den historischen Philosoph, Alchemist, Wunderheiler und Astrologen Johann Georg Faustus, der um 1500 herum lebte. Schon zu Lebzeiten wurde diesem Faustus die Verbindung zur Schwarzen Magie nachgesagt. Die ungeklärten Umstände seines Todes trugen weiter zur Annahme bei, er habe mit dem Leibhaftigen im Bunde gestanden. 1808 traf Johann Wolfgang Goethes Schauspiel Faust genau den Nerv der Zeit. Die Fülle an romantischen Themen – der Volkston, die Suche nach einem unerreichbaren Ideal, das „Ewig-Weibliche“, das Diabolische, die übernatürlichen Szenen – inspirierte zahlreiche Opern. Gut dreißig Faust-Opern listet die Enzyklopädie Grove Music seit dem Erscheinen von Goethes Schauspiel, davon allein über zwanzig zwischen 1815 und 1888.

Inmitten dieser „Faust-Manie“ gewann eine andere Figur an Beliebtheit: Mephisto. Sein Verhältnis zu Faust ist zunächst einmal ein klassischer Teufelspakt: Mephisto – „der Geist, der stets verneint“ – verpflichtet sich, dem lebensmüden Faust im Diesseits zu dienen und ihm jedweden Wunsch zu erfüllen; Faust ist im Gegenzug bereit, Mephisto seine Seele zu überantworten, falls es diesem gelinge, ihm Erfüllung zu verschaffen. In den Worten Goethes: „Werd’ ich zum Augenblicke sagen: / Verweile doch! du bist so schön! / Dann magst du mich in Fesseln schlagen, / Dann will ich gern zugrunde gehn!“ Viele Opern ignorieren den Goethe’schen „Prolog im Himmel“, in dem der Teufel Mephisto mit Gott selbst um die Verführbarkeit der Menschen wettet, und fokussieren auf die Dynamik zwischen Faust und Mephisto, der mal mehr, mal weniger dämonisch in Aktion tritt.

In Hector Berlioz’ La damnation de Faust (Fausts Verdammnis), ursprünglich als Schauspielmusik konzipiert (1846) und erst Jahrzehnte später für die Opernbühne umgearbeitet, wollte Carl Friedrich Zelter den „Schwefelgeruch des Mephisto“ spüren. Das formell etwas sperrige und anfangs wenig erfolgreiche Werk ist heute vermutlich vor allem wegen der opulenten Beschreibung von Fausts Höllenfahrt bekannt, die es bei Goethe nicht gibt. Hier wird sie zu einem echten Effekt-Stück, bei dem sich Berlioz aller Mittel der „teuflischen“ Musik bedient: unruhige Streichertremolos, schwere und tiefe Blechbläserklänge, Einfälle der Piccoloflöte und einen „Chor der Teufel und Verdammten“. Nicht zu vergessen, dass dieser Méphistophélès rollentypisch durch den Tritonus gekennzeichnet ist, etwa, wenn seine dämonische Instanz (in Gestalt von H-Dur) in den Hymnus des Osterspaziergangs (in F-Dur) hineinbricht.

Charles Gounods Faust (1859), eine der meistgespielten französischen Opern überhaupt, orientiert sich wieder enger am Goethe’schen Text. Doch auch hier ist eine deutliche dramatische Reduktion zu spüren: Fausts entgrenztes Streben weicht seiner hauptsächlichen Liebessehnsucht nach Marguerite, deren Seelenrettung am Ende der Oper in den Mittelpunkt rückt. Méphistophélès’ erster Auftritt, sein Erscheinen in Fausts Studierzimmer, wird von einem dramatischen Orchesterschlag über flirrenden Streichern begleitet, gleitet aber sogleich in einen süffisanten Konversationston ab, wenn er Faust die schöne Frau verspricht. Während die sinnliche Melodik der französischen Grand opéra für eine gute Portion Gefühl in der Liebesbeziehung von Faust zu Marguerite und ihrer abschließenden Himmelfahrt sorgt („Anges purs, anges radieux“), wirken Méphistophélès’ große Soloszenen – wie das Rondo vom goldenen Kalb im 2. Akt oder seine spöttische „Serenade“ im 4. Akt – allerdings eher wie Einlagen aus der Opéra comique. Fast etwas zu weich, um ernsthaft gefährlich zu sein.

Faust - Opéra de Lille

Eine Aufwertung der Mephisto-Figur geschah durch die Hand von Arrigo Boito. Der kannte sich mit teuflischen Bösewichten bestens aus: Nicht nur übertrug er den Freischütz ins Italienische, sondern er schrieb auch zahlreiche Opernlibretti, unter anderem für Verdis Otello mit dem dämonischen Jago. In seiner einzig vollendeten Oper Mefistofele (erste Fassung 1868) legte er nun den Fokus auf Mephistos Wirken und Scheitern. Im Gegensatz zu früheren Faust-Bearbeitungen fügte Boito den Prolog im Himmel, also die Wette Mephistos mit Gott, hinzu, wodurch Mephisto selbst als getrieben von der Erfüllung des eigenen Vertrags gezeichnet wird. Für den 4. Akt und den Epilog bediente sich Boito Auszügen aus Goethes Faust II (1832 posthum veröffentlicht), der Weitererzählung nach Margaretes Tod. Am Ende von Mefistofele liegt Faust im Sterben und äußert die erlösenden Worte: „Sacro attimo fuggente, / Arrestati, sei bello! / A me l’eternità!“ („Heiliger, entfliehender Moment, / halt, du bist schön! / Für mich die Ewigkeit!“). Auf diese Weise entzieht sich Faust, dessen Seele entrückt in den Himmel fährt, dem Einfluss Mefistofele, der nun mit leeren Händen dasteht. Was für eine Enttäuschung für den Teufel, dessen Spiel der Verführung des Menschen zum Bösen nun aufs Neue beginnt!

Komisch-scheiternde Teufel
 

Nicht immer gelingt ihnen in der Oper also, ihre Opfer in die Hölle zu ziehen oder dort zu behalten. Erst recht nicht, wenn es sich dabei um die armen Teufel handelt, die besonders in den komischen Opern ab dem späten 19. Jahrhunderts anzutreffen sind. In Antonín Dvořáks Čert a Káča (Katja und der Teufel, 1899) sind die Haupt-, Boten- und Torhüterteufel im Grunde ganz ernstzunehmende Figuren – jedenfalls, wenn man der genretypischen Höllenmusik im 2. Akt, unter anderem mit viel Schlagwerk, chromatischen Figuren und feurigen Tänzen, Glauben schenken mag. Doch der Titelheldin Katja, die wegen ihrer Redseligkeit im Dorf belächelt wird, ist das gleich: Sie lässt sich von niemandem etwas sagen, von keinem Bauern, keiner Fürstin und erst recht nicht von einem Teufel. Gegen Dvořáks Opernteufel braucht es keinen göttlichen Beistand – es genügt die Entscheidungskraft und das Selbstbewusstsein einer jungen, eigenständigen Frau.

Opern wie diese bedienen sich häufig Figuren aus Volkssagen, Legenden und populären Schwänken: Dvořáks Oper basiert auf dem Märchen vom dummen Teufel und dem forschen Mädel Käthe von Božena Němcová; Bedřich Smetanas Čertova stěna (Die Teufelswand, 1882) stützt sich auf eine Lokalsage über eine markante Felsformation; Ottorino Respighis Belfagor (1923) ist von Niccolò Machiavellis Novelle aus dem 16. Jahrhundert inspiriert; Jaromír Weinbergs Švanda dudák (Schwanda, der Dudelsackpfeifer, 1927) beruht auf einer alten Volkssage, die 1847 als Drama aufgeschrieben wurde. In Franz Schrekers „große Zauberoper“ Der Schmied von Gent (1932) – ebenso nach einer flämischen Legende – vermischen sich wieder religiöse und weltliche Elemente. Der kluge Schmied Smee, der in Notlage seine Seele dem Teufel verschrieben hat, vermag dank göttlicher Hilfe, „die Abgesandten, die ihn nach Ablauf seiner Frist in die Hölle schleppen wollen, jämmerlich zerbeult heimschicken.“ (Albert Gier) Es hilft kaum, dass Luzifer – laut Notenpartitur – „mit sehr kompliziertem Schlagwerk“ auftritt: Bei Smees Ankunft an der Höllenpforte sind die Teufel derart von der Behandlung ihrer Kolleg:innen eingeschüchtert, dass sie den „tückischen Schmied“ postwendend zurückschicken. Er könnte fast mit Katja verwandt sein.

Dramatischer Abgang


Wenn Teufel im Bühnenboden versinken, geschieht dies häufig unter vollem Orchestereinsatz, denn der Sieg über das Böse möchte schließlich dramatisch zelebriert werden! Igor Strawinskys The Rake’s Progress (1951) ist ein musikalisches Potpourri aus musikalischen Zitaten von Monteverdi über Mozart hin zur zeitgenössischen Jazzmusik. Kein Wunder, dass der mitternächtliche Abgang des diabolischen Nick Shadow nach Ablauf seiner Frist ein Paradebeispiel für die Musik für Opernbösewichte ist: abgehackte Trauermarsch-Rhythmen, stechende Streichermotive, bedrohliche Trommelwirbel und eine donnernde Bassstimme – so geht der Teufel zugrunde.

Teufel sorgen für wunderbar schauervolle musikalische Momente, heizen dramatische zwischenmenschliche Konflikte an und bieten immer wieder die Gelegenheit, über die Rolle des Bösen in unserer Welt zu reflektieren. Man kann wohl davon ausgehen, dass das Sujet der Wette zwischen dem Menschen und dem Leibhaftigen Komponist:innen noch lange faszinieren und in Versuchung führen wird.

Hannes Föst